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Baeumer

© Senator

Sommerkino: "Mitte Ende August": Sommerhaus, immer

Sebastian Schippers Wahlverwandtschaftsbesuch: "Mitte Ende August" – sehr frei nach Goethe.

Ein Regisseur, nicht mehr ganz jung, noch lange nicht alt, lag vor zwei Sommern am Strand von Kroatien und las Goethe. Auch er kocht zu Weihnachten Gans mit selbst gemachten Klößen und selbst gemachtem Rotkohl – es gibt Dinge, die gehören nun mal dazu, die sind gewissermaßen Heimat, Goethe oder eine Weihnachtsgans, auch wenn beide – das ist dem Regisseur wohl bewusst – etwas ungut Etabliertes haben. Und seine Sympathien gehören eher den Nicht-Etablierten. Aber womit der Regisseur nicht gerechnet hatte: im Unterschied zur Gans war der Goethe ganz leicht, es waren die „Wahlverwandtschaften“.

Die Sekundanten dieses meist sommerleichten, etwas frühnebligen und zugleich sehr augustabendlich-melancholischen Films, der heute ins Kino kommt, sind Goethe und sehr viele Tetrapaks „Le Patron“. Weder vor Ersterem noch vor Letzterem muss man Angst haben, man spürt sie fast nicht. Sie sind der Hintergrund. Die Hauptfrage von „Mitte Ende August“, die sich jeder um diese Jahreszeit stellen sollte, lautet: Ist der Sommer bald vorbei? Und woran merkt man, dass aus dem Hoch- ein Spätsommer wird? Und wie lange müssen wir dann bis zum nächsten warten, wollen wir das – und wenn ja, mit wem?

Sebastian Schipper, Regisseur von „Absolute Giganten“ und „Ein Freund von mir“ hat einen Film über den August des Lebens gedreht. Im Spätsommer des Daseins ist der Mensch noch lange nicht herbstlich alt, im Gegenteil, er sieht meist noch direkt hochsommerlich aus wie Hanna und Thomas (Marie Bäumer und Milan Peschel). Und wie Thomas frühmorgens aufspringt, die eine Hand schon am Lautstärkeregler des CD-Players, auf den Balkon tanzend und mit der Gießkanne in der anderen Hand die Bumenkästen betröpfelnd – das spricht höchstens für Sommeranfang. Vom ersten Augenblick an finden Schipper und sein Kameramann Frank Blau eine wunderbar schwerelose Nähe zu diesem Mitte-Ende-August-Paar.

Allerdings denkt es schon etwas ältlich, ja beinahe herbstlich. Es will sich ein Haus kaufen! Für die Zeit des ultimativen Blätterfalls gilt nach Rilke: Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keins mehr! Der übermütige Morgen ist der Morgen des Hauskaufs. Umwerfend die Szene beim Notar, Hannas halb ungläubiges, halb albernes Kinderlächeln: Wir kaufen ein Haus, unfassbar!

Es ist kein Haus, um ein sattes Lebensbürgerpaar zu werden. Im Gegenteil, es ist alt und kaputt, irgendwo am Rande der Welt, also in Brandenburg, ein richtiges Aus-der-Welt-fall-Sommerhaus für später. Denn erst einmal muss es bewohnbar gemacht werden. Also fahren Hanna und Thomas ohnehin öfter zum Baumarkt, und das ist praktisch, denn dort haben sie sogar Handyempfang. Thomas und Hanna bilden einen HeimwerkerWeltinnenraum zu zweit, und das Schöne ist, dass Schipper und sein Kameramann gar nicht viele Worte, gar nicht viele Bilder machen müssen, um das zu zeigen. Aber was heißt hier – zeigen? Um uns mitten in diesem schönen ZweierAlbtraum von Haus auszusetzen, in diesen fließenden Kamerabewegungen, den präzisesten Unschärfen. Überhaupt scheinen beide ein besonderes Talent für den frühen Morgen zu haben: eine Frau, ein Glas Milch, ein Katze am Morgen. Wo hat man das zuletzt so gesehen?

Und dann kommen – Goethe! – zwei Sommergäste ins Haus, dabei wollten die beiden doch niemanden reinlassen: Thomas’ Bruder (Arbeit weg, Frau weg, Leben weg: André Hennicke) und die Tochter von Hannas toter bester Freundin, Augustine (voller Aufbruch in alle Richtungen: Anna Brüggemann). Nun erheben sich immer neue Sommertornardofragen, provoziert durch die Eindringlinge. Wie lange ist man jung? Und wenn man es nicht mehr ist, wer passt dann zu einem – noch der, mit dem man gemeinsam jung war oder besser der, der noch ganz jung ist?

Bei einem Mittsommernachtsmahl ertappen sich alle dabei, über den Wein zu reden, den sie trinken. So etwas tun nur alte Leute. Und Thomas spricht es aus: Kein Mensch trinkt gern guten Wein. Leben ist, wenn es einem so gut geht, dass es völlig egal ist, wie der Wein ist. Milan Peschel gibt diesem Hau-ruck-Menschen eine solche Kraft, mit der er nicht nur störende Wände versetzt und falsch platzierte Bäume ausreißt, dass allen Beteiligten klar wird: Jetzt steht die Probe auf diese These an. Man muss schon sehr jung sein, um mit dem „Le Patron“-Test so ernst zu machen.

Was ist ein Sommergewitter gegen die atmosphärischen Störungen, die nun das kleine Haus ohne Handyempfang durchziehen? Es kann ein Fluch sein, so ohne Mitwelt zu sein, einander ausgeliefert zu viert. Sogar der kleine See beim Haus scheint plötzlich Strudel zu bilden.

Fassen wir zusammen: Sommerkino, schwebeleicht, traumschwer, dabei panisch vor dem Erwachsenwerden in der Mitte des Lebens. Und die Musik ist von Vic Chesnutt.

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