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Streetart: Haken schlagen

Doku? Essay? Satire? „Exit Through the Gift Shop“ – das Debüt des Streetart-Künstlers Banksy kommt in die Kinos.

Banksy bleibt ein Rätsel. Auch nach dem Aufstieg zur Streetart-Ikone gelingt es dem britischen Künstler, sich erfolgreich hinter seinem Pseudonym zu verstecken. Ausgerechnet er, der Mann mit geheimer Identität, geht in seinem ersten Kinofilm, „Exit Through the Gift Shop“, der Authentizität von Kunst nach. Dabei sind doch Identität und Authentizität eng miteinander verwoben. Was wie ein Scherz klingt, ist tatsächlich einer – allerdings ein ziemlich guter.

Der Film präsentiert sich im Gewand einer Dokumentation. In ihrem Mittelpunkt steht Thierry Guetta, ein Boutiquenbesitzer in Los Angeles, der eines Tages das Hobbyfilmen für sich entdeckt. Zunächst verfolgt der Zuschauer das Geschehen ausschließlich durch Guettas Objektiv. Zufällig dokumentiert er das Aufkommen der Streetart in Los Angeles. Er kommt mit allen wichtigen Protagonisten der Szene in Kontakt und wird dadurch selbst Teil der Bewegung. Auch Banksy, stets im Kapuzenshirt, erlaubt Guetta, ihn zu filmen – allerdings nur von hinten.

Erst als Guetta das über Jahre gesammelte Material, das ganze Kisten füllt, zu einem Kinofilm zusammenschneidet, erkennt Banksy, dass Guetta ein Dilettant ist. „Ein Irrer mit Kamera“, sagt Banksy, nachdem er das Konvolut aus beliebigen Szenen und viel zu schnellen Schnitten gesehen hat. Sein höchst kurioser Ratschlag: Guetta möge die Kamera beiseitelegen und sich stattdessen in der Kunst auszuprobieren. Was Banksy nicht ahnt: Guetta nimmt ihn ernst und geht mit vollem Elan an die neue Aufgabe.

Dieser Rollenwechsel etwa nach der Hälfte des Films hat fortan seine technisch-perspektivische Entsprechung. Nun steht Guetta im Focus der Kamera. Unter dem Pseudonym Mr. Brainwash stellt er Heerscharen von Grafikern und anderer Gehilfen ein, die nach seinen Vorgaben Bilder anfertigen, da er selbst dazu nicht in der Lage ist. Guetta investiert sein gesamtes Geld in eine gigantische Ausstellung – und wird dank eines Medienhypes reich. Banksy, der in „Exit Through the Gift Shop“ stets mit verzerrter Stimme auftritt, kommentiert den Erfolg der am Reißbrett entstandenen Kunst irritiert und verärgert. Wenn Andy Warhol die Kunst banalisiert hat, sagt er in die Kamera, dann hat Mr. Brainwash die Banalisierung banalisiert.

Das Verwirrspiel funktioniert noch auf einer weiteren Ebene. Banksy und sein Team kombinieren Dokumentaraufnahmen mit Spielszenen, nur ist nicht leicht auszumachen, was gestellt und was echt ist. So tauchen echte Street Artists auf, aber zumindest Mr. Brainwash dürfte ein einziger Schwindel sein. Andererseits wird nachprüfbar authentisches Material von Banksys Aktionen gezeigt: seine Graffiti im Westjordanland, die eingeschleuste Puppe eines Guantanamo-Häftlings in Disneyland, das Aufhängen einer Mona Lisa mit Smiley-Lächeln im Pariser Louvre. Doch wenn Guetta als Kameramann des Disneyland-Coups präsentiert wird, zieht Banksy den Zuschauer wohl erneut hinters Licht.

Immerhin: In diesem so reizvoll wie irritierend schillernden Wahrnehmungsfeld, das offen lässt, welche Szenen der zumindest dokumentarisch fassbaren Wirklichkeit entsprechen und welche nicht, werden höchst relevante Fragen zum Selbstverständnis von Kunst und Künstlern gestellt. Wer bestimmt darüber, was als Kunst gelten darf? Lässt sich der Wert eines Werkes an der Höhe der Summe bestimmen, die jemand dafür zu zahlen bereit ist? Banksys liebevoller Film über die Streetart-Szene versteht sich somit nicht nur als Stellungsnahme zu ihren eigenen Kommerzialisierungstendenzen, sondern als pointierte Kritik an den Mechanismen des Kunstbetriebs überhaupt. Nicht von ungefähr erinnert Mr. Brainwashs Kunstfabrik an jene von Damien Hirst oder Jeff Koons.

„Exit Through the Gift Shop“, dieses äußerst geschickte Spiel zwischen Schein und Wirklichkeit, ist ein Kunstwerk: fast perfekt getarnt.

Babylon Kreuzberg, Central, FT Friedrichshain, Kant, Kulturbrauerei, Yorck (alle OmU); Cinestar Sony-Center (OV)

Michael Schulz

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