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© dpa

Thriller: "Du bist der Gangster"

Der Regisseur David Cronenberg spricht über seinen neuen Film „Tödliche Versprechen“ - und über Körper und Seele im Kino sowie Tätowierungen russischer Gefängnisinsassen.

Mr. Cronenberg, in der Pressevorführung von „Tödliche Versprechen“ beim Festival von Toronto gab es eine Art Skandal: Die Leute haben geschrieen. Gefiel Ihnen das?

Filmkritiker sollten schreien, es ist höchste Zeit dafür (lacht). Nein, dass sogar so abgebrühte Leute schreien, ist ein gutes Zeichen.

Dabei ist „Tödliche Versprechen“ vielleicht gar nicht so überraschend: Wieder erzählen Sie die Geschichte eines Gangsters, wieder spielt Viggo Mortensen die Hauptrolle. Da könnte der Film glatt als „A History of Violence 2“ durchgehen.

Auch wenn’s mir keiner glaubt: Dass ich jetzt diesen Film gemacht habe, war ein glücklicher Zufall. Ich hatte andere Projekte in petto, aber aus denen wurde nichts. Um ein paar Unterschiede zu nennen: „A History of Violence“ spielt in einer amerikanischen Kleinstadt, „Tödliche Versprechen“ unter Osteuropäern in London. In „A History of Violence“ flüchtet der Held vor seiner Vergangenheit; diesmal verbirgt er einen Teil seines Lebens vor anderen, nicht aber vor sich selber.

Gut, aber was hat Sie dann an genau diesem Projekt gereizt?

Nach fünf Seiten des Drehbuchentwurfs von Steve Knight wusste ich: Das ist es. Auch wenn wir später die zweite Hälfte des Films völlig umgeschrieben haben. Diese Figuren, die multikulturelle Atmosphäre, in der alle Nationalitäten ihre eigene Sprache haben, ihre Religion und Familienstrukturen, ihr Essen, ihre Musik, das erinnerte mich exakt an meine Heimatstadt Toronto. In Kanada teilen wir ja nicht diese US-Vorstellung vom melting pot, in dem alle Neuankömmlinge ihre Kultur aufgeben müssen, um Amerikaner zu werden. Andererseits hätte ich nicht in Toronto drehen können, der osteuropäische Einfluss ist in England viel größer.

Noch eine Ähnlichkeit zu „A History of Violence“: Wieder haben Sie einen Genrefilm gedreht. Und beide Thriller wirken viel psychologischer als Ihre früheren Arbeiten.

Finden Sie? Nehmen Sie „Dead Ringers“ vor fast 20 Jahren und „Butterfly“: Die sind noch realistischer als meine letzten beiden Filme, die immerhin auf fiktiven Charakteren beruhen. Wenn ich jetzt einen Science-Fiction-Film gedreht hätte, hätte man auch wieder nur daran herumgedeutelt. Ich denke nicht viel über Genres nach, das ist nicht mein Job. Natürlich kennt man die Filmgeschichte, aber man muss sie vergessen, wenn man etwas Neues erschaffen will. Jeder Film ist ein eigenes Ökosystem, ein kleiner Planet. Er muss alleine funktionieren, einzigartig und faszinierend.

Und wenn auch Cronenberg manchmal Cronenberg vergessen will?

Ich muss mich nicht um Cronenberg sorgen. Als Regisseur trifft man jeden Tag 2000 oder 3000 unverwechselbare Entscheidungen. Niemand würde genau so entscheiden, jedes Nervensystem filtert anders. Und seit es das nivellierende Studiosystem so nicht mehr gibt – keiner zwingt mich, diesen Schauspieler oder jenen Kameramann zu nehmen – , sind meine Filme ein ziemlich reiner Ausdruck von mir selbst.

Welche Veränderungen beobachten Sie dabei? Interessieren Sie sich neuerdings weniger für den Körper als für die Seele?

Ich trenne beides nicht. Ich kann eine Seele nicht filmen. Alles Kino zeigt Körper, es sei denn, Sie sind Landschaftsfilmer. Es zwingt auch den Schauspieler zu einem Bewusstsein des eigenen Körpers, denn der ist sein einziges Instrument. Das ist sehr physisch, es fasziniert mich sehr. Natürlich muss man den Körper im Film richtig einsetzen, sonst löst man keine abstrakten Gedanken und thematischen Verbindungen aus.

Der Körper der Hauptfigur Nikolai ist voller Tätowierungen. Wie kam es zu der Idee, einen Mann über seine Haut zu beschreiben?

Am Anfang spielten die Tattoos keine Rolle. Dann entdeckte Viggo Mortensen ein Buch über die Tätowierungen russischer Krimineller: Die benutzen einen Code, der sich in 150 Jahren in den russischen Gefängnissen entwickelt hat, seit der Zarenzeit – ein fantastisch reiches Material. Da wusste ich: Das ist die zentrale Metapher des Films. Auch Viggo Mortensen fragte forschend nach: Wie sehen diese Tattoos aus, warum sind sie da, was bedeuten sie, wie viele sind es, wo werden sie mir angebracht? Jeder Schauspieler ist ja der Treuhänder der Filmfigur, die er spielt und selber entwickelt. Am Ende sollte er mehr über sie wissen als der Drehbuchautor.

Manchmal entwickelt der Held Empathie, er hat sogar etwas Zärtliches. Nicht gerade typisch Cronenberg.

Ich habe eine 35-jährige Tochter, ich habe Enkel, Zärtlichkeit gibt es auch in meinem Leben – aber nicht dass Sie jetzt denken, das hat was mit meiner Arbeit zu tun. Jeder Film hat seinen eigenen Ton. Er spricht zu einem wie ein Kind, er sagt einem, was er braucht und was nicht. Manche brauchen eine harte Oberfläche, andere nicht. Manche sind komplex, andere weniger. In „eXistenZ“, das ist erst vier Filme her, fehlt die Zärtlichkeit vielleicht, aber dafür gibt es da eine ganz andere Form von Sensibilität.

Dann wieder drückt sich Nikolai mit extremer Gewalt aus, wie in der Badehausszene.

Da haben die Leute in Toronto am Ende sogar applaudiert! Ich glaube, dass jeder Film ein eigenes Realitätslevel errichtet. Denken Sie zum Beispiel an „The Bourne Ultimatum“: Da ist das Geschehen nur scheinbar real, also ist das Publikum, wenn Leute im Film sterben, nicht besonders traurig oder verstört. In „Tödliche Versprechen“ gibt es nur drei Gewaltszenen, aber die sind heftig. Sie zeigen, was es tatsächlich bedeutet, einer von denen zu sein, für die Gewalt untrennbar zum Leben gehört. Ich wollte da keinesfalls früh schneiden oder abblenden.

Das klingt fast moralisch. Wollen Sie abschrecken?

Als Regisseur geht man immer eine Art Vertrag mit seinen Zuschauern ein. Die Leute wollen für kurze Zeit ein Leben ausprobieren, das sie in der Wirklichkeit nie wagen würden. In „Tödliche Versprechen“ heißt das, wie in einem Videospiel: Du bist Nikolai. Du bist der Gangster. Du kriegst Zärtlichkeit, Humor, sehr russischen Humor übrigens, und Gefahr. Als Atheist glaube ich nicht an das ewige Leben oder an irgendein karmisches Recycling. Töten ist die totale Zerstörung: das Ernsteste, was es gibt.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

David Cronenberg,

1943 im kanadischen Toronto geboren, ist ein Meister des Horrorfilms. Wichtige Werke: „Die Fliege“(1986), „Naked Lunch“ (1991) und „Crash“ (1996).

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