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Schlaflos zu Haus. Timo (Wotan Wilke Möhring) wird von einer schrecklichen Erinnerung heimgesucht.

© NFP

Thriller: Kreuz im Kornfeld

Das junge deutsche Kino entdeckt die Lust am Thriller. Düstere Gefühle, einsame Menschen: "Das letzte Schweigen" von Baran bo Odar.

Es ist von vielem zu viel in diesem Film. Die Musik, die dauerdräut und dröhnt und noch im Klavier-Abspann so insistierend auf der Tonika herummacht, als wolle sie überhaupt kein Ende finden. Die Trauernden aller Professionen und Generationen, die ihre Lieben an Lustmörder oder auch an den Krebs verlieren. Die Luftbilder, die die Handlung zeitlich strukturieren sollen – und immer, wenn der nächste Wochentag über Baumkronen oder Kornfeldern eingeblendet wird, ertönt ein dumpfes Bumm-Bumm. Und so weiter.

Andererseits: Wie oft ist von allem zu wenig im deutschen Kino. Da tut es gut, wenn einer aufs Ganze geht. Vor allem, wenn er jung ist wie der 32-jährige Münchner Filmhochschulabsolvent Baran bo Odar. Nur wer seine Grenzen überspringt, lernt sie kennen.

Es ist Freitag, der 8. Juli 2009 in einem Irgendwodeutschland, in dem die Autokennzeichen FA oder auch O zugelassen sind. Die 13-jährige Sinikka ist verschwunden, ihr Fahrrad liegt im Kornfeld. Die Polizei hat Grund, von einem Kapitalverbrechen auszugehen: Unmittelbar neben dem Fundort steht ein Holzkreuz mit der Aufschrift „Pia“, das an einen unaufgeklärten Mädchenmord erinnert, der vor exakt 23 Jahren an derselben Stelle begangen wurde. Pias Mutter Elena, die täglich hier frische Feldblumen ablegt, hat seitdem nicht mehr ins Leben zurückgefunden.

Ein Thriller, natürlich. Wird die Polizei den oder die Täter fangen, die der Zuschauer von Anfang an kennt? Den Mord an der kleinen Pia hat der Hausmeister Peer Sommer (Ulrich Thomsen) begangen. Ein junger, mit Sommer schüchtern befreundeter Pädophiler namens Timo (Wotan Wilke Möhring) half, die Leiche wegzukarren. 23 Jahre später ist Timo Architekt und Familienvater – und hat nach der Tat bloß Reißaus genommen von allem und nie wirklich in ein eigenes Leben gefunden. Was tut er, als er von dem neuen Verbrechen erfährt?

Elegisch langsam erzählt Odar die auf einem Kriminalroman von Jan Costin Wagner beruhende Geschichte, weniger interessiert an der Psychologie der Täter als an dem Milieu, in dem sich Verlust und Trauer ausbreiten. Also begleitet der Film die ewig trauernde Elena (grandios knapp: Katrin Sass), die Eltern Sinikkas (berührend verstört: Karoline Eichhorn und Roeland Wiesnekker) und den ermittelnden, den Krebstod seiner Frau kaum verwindenden Kommissar David (grenzwertig verwirrt: Sebastian Blomberg). Und dann ist da noch der soeben pensionierte Kollege Krischan (wunderbar restfrisch: Burghart Klaußner), der den Fall Pia damals nie so recht zu den Akten legen mochte.

Nur: Auch die Schuldigen finden sich alsbald in diesem universalen Vereinsamungs-Panoptikum derangierter Gestalten wieder – und nicht einmal dem einzigen Profiteur des Geschehens gönnt der Regisseur einen finsteren Triumph. Täter und Opfer, alles eins? Als sei Baran bo Odar der Suggestivkraft selbst geschaffenen Atmosphäre erlegen: So geht „Das letzte Schweigen“ seinem sperrangelweit offenen Ende entgegen.

Und trotzdem: Sogar die Schwächen dieses Films sind stark, weil sie das Gefühl durchdringender Verstörung auf ihre Weise unterstreichen. Wie schön, wenn ein Regisseur das Genre nicht bloß bedient, sondern als Herausforderung begreift, Größeres anzupeilen. Auch wenn er am Ende wohl nicht mehr ganz genau wusste, was es war.

Broadway, Cinemaxx, International, Kulturbrauerei, Rollberg, Zoo Palast

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