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Selcuk

© Mitosfilm

Trilogie: Im Schilf: Türkische Mythen

"Süt" (Milch) heißt der neue Film von Semih Kaplanoglu, der zweite Teil einer rückwärts erzählten Trilogie um den Helden Yusuf, der jetzt um die 20 und in "Bal" (Honig), dem dritten Teil, der auf der Berlinale im Wettbewerb zu sehen sein wird, wieder ein kleiner Junge ist.

Es geht, wie häufig bei Semih Kaplanoglu, um den Zusammenprall traditioneller, ländlicher Mythen mit den Anforderungen, die eine westlich-kapitalistisch orientierte Lebensweise an die Menschen stellt. Semih Kaplanoglu, der grüblerische Außenseiter des jüngeren türkischen Kinos, weiß um die Unvereinbarkeit parallel existierender Lebensentwürfe, um enttäuschte Erwartungen und den Verlust der Heimat.

Yusuf lebt mit seiner Mutter Zehra in einer westtürkischen Kleinstadt. Er hilft ihr bei der Landwirtschaft, beim Verkauf von Milch und Käse auf dem Markt, und er fährt im Beiwagen seines Mopeds Milch aus. In seiner Freizeit schreibt der schüchterne junge Mann Gedichte, die er seinem ehemaligen Lehrer gibt. Der jedoch interessiert sich nicht dafür, ja er erinnert sich nicht einmal daran, sie gelesen zu haben. Auch Zehra findet die poetischen Neigungen ihres Sohnes wenig lebenspraktisch. Seine Gedichte scheinen für sie lediglich ein Beweis dafür zu sein, dass er verliebt ist. Einen einzigen Freund hat Yusuf, dem er sich anvertrauen kann: Es ist ein Bergmann, der sich seinerseits als Dichter fühlt. Nur er versteht, wie glücklich es Yusuf macht, dass eins von seinen Gedichten in einer Literaturzeitschrift veröffentlicht wird.

Als Yusuf seinen Musterungsbescheid erhält, freuen sich Sohn und Mutter. Die Einberufung zum Militärdienst verspricht Yusuf Abwechslung, während Zehra darauf wartet, ihre eigenen Wege gehen zu können, hat sie doch einen vorsichtigen Flirt mit dem verwitweten Bahnhofsvorsteher angefangen. Aber Yusuf wird ausgemustert und fährt enttäuscht nach Hause zurück, wo ihm plötzlich alles noch fremder geworden ist.

Semih Kaplanoglu ist ein bedächtiger Erzähler: Seine Einstellungen beginnen, bevor etwas passiert und werden gehalten, nachdem seine Protagonisten die Szene verlassen haben. Man begreift, dass die Menschen im Bezug auf ihre Umgebung agieren, sich den neuen städtischen Bedingungen, die in den letzten beiden Jahrzehnten rasanten Veränderungsprozessen unterworfen wurden, anpassen müssen. Kaplanoglu ist vor allem auch ein Regisseur der Geräusche. Seine Filme sind dialogarm, aber reich an Tönen, die man sonst kaum wahrnimmt: Das Platschen von Gummistiefeln im Schilf, das Rascheln des Rohrs, das Knattern eines Motorrads. Und er verwendet Symbole wie die titelgebende Milch, die nicht nur für die Beziehung zwischen Mutter und Sohn steht – gleich zu Beginn des Films wird Milch in einem Topf über offenem Feuer aufgekocht.

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