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© dpa

Umweltfilm: Porträt eines geschundenen Planeten

Der Film "Home" ist ein Appell: Rettet unsere Erde! Die millionenschwere Dokumentation von Yann Arthus-Bertrand startet zeitgleich in Kinos, im TV und gratis im Internet.

Langsam gleiten die Schriftzüge dahin, wie Federn schweben sie vor der unendlichen Weite des Weltraums und dessen unzähligen Sternen. Gucci, Bottega Veneta, Yves Saint Laurent, Puma und weitere Firmennamen schwirren umher. Während majestätisch die Erde im Hintergrund aufgeht, vereinen sich die illustren Marken zu vier weißen Lettern – Home.

Dieser Vorspann lässt keinen Zweifel daran, wer bei diesem Film das Budget geliefert hat. Es ist der französische Luxusgüter-Konzern PPR, der das Projekt mit zehn Millionen Euro unterstützt, ein einzigartiges Multimedia-Spektakel, dessen Hauptakteur uns allen bekannt sein dürfte: Mutter Erde.

In ästhetischen und aufwendigen Luftaufnahmen wird in Home die Geschichte der Erde erzählt. Diesmal sind allerdings nicht nur fast schon kitschig anmutende Naturbilder zu sehen, wie viele sie aus Filmen wie Unsere Erde kennen. Home zeigt auch, wie der Mensch seine Heimat systematisch ausweidet, abholzt, ausbeutet, und sich so an ihr und an seiner eigenen Spezies vergeht. 20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen, heißt es im Film – "die Schere zwischen arm und reich war nie größer."

Heute, am Weltumwelttag, kommt das Regiedebüt des französischen Luftbildfotografen und Umweltaktivisten Yann Arthus-Bertrand nicht nur in die Kinos in mehr als 85 Ländern der Erde. Der Dokumentarfilm über den blauen Planeten feiert auch eine andere Premiere: Es ist der erste Film, der pünktlich zum Kinostart auf YouTube in voller Länge zu sehen und auf DVDs erhältlich sein wird. Gleichzeitig wird er von verschiedenen TV-Sendern weltweit ausgestrahlt.

Damit nicht genug: Auf Großbildleinwänden unter anderem im New Yorker Central Park, vor dem Eiffelturm in Paris und in Mexiko-Stadt sollen Millionen Menschen die Möglichkeit erhalten, das Plädoyer für den Erhalt unserer Erde zu sehen. "Der Film bezieht Position. Er erklärt, dass unsere Lebensweise die Erde stärker beeinträchtigt, als sie es verträgt", sagt Arthus-Bertrand.

Home ist nicht nur sein Werk. Der Filmemacher holte sich als Produzenten den weltberühmten Regisseur Luc Besson (Taxi, Leon der Profi, Das fünfte Element) und gewann François-Henri Pinault, Chef von 88.000 Mitarbeitern an der Spitze des PPR-Imperiums, als Großsponsor. "Yann bat uns um etwas Unerhörtes: Home solle praktisch überall kostenlos zu sehen sein, gleichzeitig in allen Medien", sagte Besson auf einer Pressekonferenz, "und das am selben Tag, weltweit."

Heute ist dieser Tag und die drei Herren scheinen tatsächlich ein ehrenwertes Anliegen zu haben: "Dieser Film gehört nicht uns", kündigte Arthus-Bertrand im Vorfeld an, "er gehört euch. Nehmt ihn, verwendet ihn. Es gibt kein Copyright. Zeigt ihn so vielen Menschen wie möglich und handelt." Bei so viel Aktivismus und Großzügigkeit sind Zweifel an der Motivation hinter diesem millionenschweren Projekt nicht fern. Steckt hinter Home auch ein wohlüberlegter PR-Schachzug eines Großkonzerns, der den umweltbewussten Mäzen mimt?

Natürlich ist ein solches Projekt dem guten Image der PPR-Marken wie Gucci und Co. nicht gerade abträglich. Andererseits verpflichtet es einen Firmenchef über alle Maßen, das damit verbundene Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz auch in die Tat umzusetzen. François-Henri Pinault scheint diese Rolle perfekt auszufüllen. Es ist bekannt, dass der Mann, der im Februar die Schauspielerin Salma Hayek heiratete, sich für den Umweltschutz engagiert. So zahlt er eine Kohlendioxid-Abgabe für jede seiner Flugreisen und tauschte seinen Sportwagen gegen ein Hybrid-Auto. Sein neuestes Projekt ist nun Home. "Ich sagte mir: Jetzt oder nie muss sich die Firma engagieren", erklärte Pinault auf einer Pressekonferenz. "Wir werden ganz sicher dafür kritisiert werden. Doch so sind wir zum Handeln gezwungen."

"Der Erfolg besteht nicht in Millionen Dollar oder Euro, sondern in der Zuschauerzahl", sagt Regisseur Arthus-Bertrand. Für die 217 Drehtage in 54 Ländern leistete auch er Ausgleichszahlungen für die Menge an Kohlendioxid, die während der Filmaufnahmen freigesetzt wurden. Der Film ist keiner jener Umwelt- und Naturdokus, die sich allein durch das Abbilden der Schönheit der Natur definieren. Die Sequenzen in Home sind atemberaubend und verstörend zugleich.

Keine Interviews, keine Schauspieler und kein Set waren dafür nötig. Einzig und allein eine ausgeklügelte Digitalkameratechnik reichte aus, mit der der berühmte Luftbildfotograf spektakuläre Aufnahmen vom Helikopter aus einfing. Lediglich ein Kommentar und Musik untermalen die Bilder. Die Drehorte reichen von Vulkanlandschaften, tropischen Regenwäldern, gigantischen Wasserfällen und Gebirgsketten bis hin zu den Megacitys, unendlich scheinenden Gewächshausplantagen und den ärmsten Regionen der Welt.

Zwar ästhetisiere das Luftbild und mache die Dinge schöner, als sie in Wirklichkeit seien, sagt der Regisseur, doch der Filmkommentar hole einen in die Realität zurück. "Vom Himmel aus ist man immer weit weg vom Schmerz und vom Hässlichen." So wird aus einem Flug über rauchvernebelte Müllhalden in Dakar, in denen Hungernde nach Essen suchen, eine Aufnahme, die tatsächlich abstoßend schön ist. Ebenso der Blick in tiefe rotbräunliche Schluchten auf Madagaskar, die wie Fleischwunden auseinanderklaffen. Hier hat der Boden über Tausende von Metern nachgegeben, seit der Mensch dort die Wälder abgeholzt hat.

Nicht alles was Arthus-Bertrand mit der Kamera filmte, ist zu sehen. In Indien wurde gut die Hälfte seines Materials von den Behörden beschlagnahmt. Die Aufnahmen zeigen die Armut im größten demokratischen Land der Erde. Auch die USA zeigten sich wenig erfreut über jene Bilder in Home, die die Massentierhaltung einer riesigen Viehfarm zeigt. Abertausende Rinder stehen hier eingepfercht und warten darauf, dass tonnenschwere Lastwagen sie mit Getreidefutter versorgen. Arthus-Bertrand droht nun in den USA ein Prozess wegen unerlaubter Filmaufnahmen.

Übrig geblieben sind dennoch anderthalb Stunden Film, die wachrütteln, auf- und erklären. Ein Anspruch, dem direkt Taten folgen: Kostenlose Kopien des Films werden in allen Schulen Frankreichs verteilt, auch in Deutschland sollen DVDs für Bildungseinrichtungen bereitliegen. Anders als Dokumentationen zuvor, stimmt Home auch nicht in das allgemeine Untergangs- und Katastrophengejammer ein. Die Botschaft ist klar: "Es ist zu spät, um pessimistisch zu sein", heißt es im Film.

Neben den schönen und schrecklichen Seiten, die Home dem Zuschauer näherbringt, bleibt so auch Platz für einen Fingerzeig in die richtige Richtung. Beispiele für einen Weg hin zu einem nachhaltigen Umgang mit den knappen Ressourcen der Erde werden vorgeführt: Niedrigenergiehaus-Siedlungen wie im deutschen Freiburg, Windparks vor Dänemarks Küste, gigantische Solaranlagen in Spanien und Geothermie-Kraftwerke in Island. "Wichtig ist nicht, was verloren ist, sondern, was bleibt", heißt es in Home.

"In 20 Jahren werden unser Kinder und auch wir uns Fragen stellen", sagt Arthus-Bertrand. "Warum haben wir nicht gehandelt, wo wir doch alles voraussagten?" Viel lieber würde er die Geschichte hören, wie die Menschen Rechenschaft vor Mutter Erde ablegten und sich gemeinsam dafür entschieden, ihren Lebensstil zu ändern. "Ich möchte die Frage hören: Wie haben sie es gemacht?" (Zeit Online)

Sven Stockrahm

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