zum Hauptinhalt
Schroeter

© dpa

Werner Schroeter: König der Nacht

Werner Schroeter ist der große Außenseiter des deutschen Kinos. Eine Hommage

Warmes Holz, schwerer roter Samt: Als Werner Schroeter mit Isabelle Huppert das kleine Wiener Metro-Kino betritt, mit langsamem, unsicherem Schritt, den schwarzen Hut auf dem Kopf, hager und von seiner Krebskrankheit gezeichnet, kommt es ihm vor, als kehre er in das nostalgische Ambiente wie an einen historischen Ort zurück. In Wien hat er einst mit Isabelle Huppert „Malina“ gedreht, einen Film, der inbrünstig und mit offenem Visier die Liebeswut eines Schiele oder Klimt evoziert. Und der die literarische Vorlage, Ingeborg Bachmanns Roman, in eine Palette aus Grundstoffen zerlegt: Blut, Schweiß, wenig Wasser, viel Feuer.

Schwarzer Hut, weiße Rose: Einen bewegenden Auftritt hatte Schroeter auch auf den Filmfestspielen Venedig. Ein Ritter von der verlorenen Gestalt, eine Rembrandtfigur, ein aus der Zeit gefallener Don Quijote, dessen Bürgerkriegsmelodram „Diese Nacht“ uraufgeführt wurde und den Jury-Präsident Wim Wenders mit einem Preis für sein Lebenswerk ehrte. Nun würdigt ihn auch die Viennale, das Wiener Filmfestival widmet dem „größten marginalen Filmemacher Deutschlands“ eine Hommage. Etwas Verschwörerisches liegt an diesem Gala-Abend in der Luft, die Erwartung, dass man einem gemeinschaftlichen Ritus beiwohnen werde, einem liturgischen Akt. In der Religion der Filmkunst, so der Schriftsteller Wolf Wondratschek in seiner Wiener „Rede für Werner Schroeter“, sei der Regisseur ein extravagantes Mosaiksteinchen an der Kirchenmauer, das im Verbund mit Gold irgendwo über den Köpfen von Propheten schwebe, als habe es das Fragment eines Blitzes darzustellen.

In der kleinen Schroeter-Monografie, die 1980 bei Hanser erschien, heißt es unter „Lebensdaten“: „Angaben zur Biografie Schroeters sind spärlich und oft widerspruchsvoll. Schroeters eigene Aussagen in Interviews helfen nicht viel weiter. Es scheint ihm Spaß zu machen, für Verwirrung zu sorgen.“ Immerhin lässt sich sagen, dass er 1945 in Thüringen geboren wurde, dass er in Neapel und Heidelberg zur Schule ging und seitdem als Nomade durch die Welt zieht, mal in Berlin, mal in Frankreich, mal in Düsseldorf lebend und bis heute ohne festen Wohnsitz ist.

Zur Kunst kam er im Alter von 13 Jahren. Er hörte die Platten von Caterina Valente („Spiel noch einmal für mich, Habanero“) und erlebte eine regelrechte Offenbarung, als er in Bielefeld eine „Carmen“-Aufführung besuchte. Nachdem er drei Semester Psychologie in Mannheim studiert und ein Studium an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen abgebrochen hatte – nur 14 Tage hielt es ihn dort –, fuhr er mit seinen ersten Achtmillimeter-Arbeiten zum Experimentalfilmfestival nach Knokke. Das Erlebnis Knokke, das Zusammentreffen mit den internationalen Experimental- und Undergroundfilmern, auch die Begegnung mit Rosa von Praunheim, mit dem er bald zusammenlebte und -arbeitete, wurden für ihn zum Anstoß, sich tatsächlich als Filmemacher zu verstehen. Erste Anerkennung erfuhr er bei der Hamburger Filmschau 1969, im gleichen Jahr wurde er in Mannheim für „Eika Katappa“ mit dem Josef-von-Sternberg-Preis für den originellsten Film ausgezeichnet.

In dieser Zeit nannte man Schroeters Arbeiten „Ausdrucksfilme“ – etwas ganz Neues, das sich zugleich im uralten gegenkulturellen Genre des Karnevalistischen abspielt, der anti-christlichen, anti-individualistischen Untergrundtradition des Grotesken. Der hemmungslose Exhibitionismus von Schroeters Figuren, die von changierender Geschlechtlichkeit sind, ist heiter und ansteckend, schrieb Enno Patalas damals. Diese ansteckende Heiterkeit führte Schroeter indes nicht zum Komödiantischen. Der ironische Gestus ist bei ihm nie leichthin, es gibt wenig entspannte Augenblicke. Vielmehr zielt er auf einen höchsten Ausdruck jenseits des gesprochenen Worts – auf den Gesang.

Rendete mi la speme, o lasciate mi morir! Gebt mir die Hoffnung wieder oder lasst mich sterben. Die Zeile aus Bellinis Oper „I Puritani“ hat Schroeter mehrfach zitiert. Überhaupt ist der Tod allgegenwärtig, doch erweist sich die Auseinandersetzung mit ihm als äußerst vitale Angelegenheit: Morior, ergo sum. Oder: Ich sterbe, also bin ich. Oder auch: Leben ist tödlich. So hat Schroeter im Poem „Der Rosenkönig“ die bereits schwerkranke Schauspielerin Magdalena Montezuma gefeiert, die kurz nach den Dreharbeiten starb.

In seinem Nachruf auf Maria Callas schrieb Schroeter, es sei ihr gelungen, die Zeit stillzustellen und das Hintreiben auf den Tod für die Dauer einer glückhaften Sekunde zu unterbrechen. Um die Herstellung dieses Effekts geht es ihm in all seinen Arbeiten: um Momente von nicht mehr steigerungsfähiger Intensität. So weigert er sich auch in seinen vergleichsweise zugänglichen Arbeiten wie seinem mit Berlinale-Gold ausgezeichneten Gastarbeiter-Passionsspiel „Palermo oder Wolfsburg“ (1980), „Das Liebeskonzil“ (1981) oder „Die Königin“ (1999), einer Hommage an die Schauspielerin Marianne Hoppe, Ereignisse realistisch zu reproduzieren. Was die Personen reden oder tun, so Wolf Wondratschek, ist nie Ansichtssache, sondern es stellt sich als Dichtung dar. Als Erfahrung, Intensität, Erregung. So erzeugen Schroeters Filme eher einen Vor-Schein als ein Nach-Bild, die größtmögliche Künstlichkeit und Unmittelbarkeit in einem.

In den Achtziger- und Neunzigerjahren arbeitete Werner Schroeter vor allem als Theater- und Opernregisseur und realisierte eine Reihe von Dokumentarfilmen. Selbst hier geht es ihm weniger um getreue Beobachtungen als um die Herstellung polyphoner Gebilde, um bewusst willkürlich komponierte Fresken, komponiert aus einzelnen rohen Lebensmomenten. Nur beliebig dürfen sie nicht sein: „Tango und Realität in Argentinien 1983“ oder das philippinische Projekt „Der lachende Stern“ sind labyrinthische Formerprobungen, Allegorien, Überhöhungen.

Illusionsspiele sind auch Schroeters fiktionale Filme wie zuletzt seine fiebrige Tragödie „Diese Nacht“, die nach der Uraufführung in Venedig auf den heute zu Ende gehenden Hofer Filmtagen Deutschlandpremiere feierte: ein gleichsam ferner Widerschein seines gesamten Œuvres, ein zwischen religiöser Ekstase, Homoerotik und Melancholie irisierender Film, über den er in der „Zeit“ sagte, er zeige ein Weltbild im Prozess der Selbstzerstörung. „Aber ich habe ihn eher als Ölgemälde angelegt und nicht wie ein wehleidiges deutsches Stück Meinungskino.“

Schroeters Arbeiten sind, um seinen schönsten Filmtitel zu zitieren, Liebesstaub, „Poussières d’amour“ (1996). Oder, so der griffigere deutsche Titel des Films über Opernsängerinnen und -sänger: Abfallprodukte der Liebe. Schroeter selbst hat es so erklärt: „Für mich sind Kunstwerke kleine, aber wichtige Mülleimer, in denen all das landet, was bei der eigentlichen Suche nach der Liebe nebenher ‚abfällt‘.“

Sämtliche Filme Schroeters, dieses letzten Manieristen und Pathetikers, sind Exzesse des Sentiments – die aber die Sentimentalität scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Wer seine Bilder betrachtet, erlebt womöglich eine Offenbarung: die Schärfung des Sinns für die Sinne.

Ralph Eue

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false