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Youssef Chahine: Der Deutliche

Der weltberühmteste ägyptische und auch arabische Filmregisseur ist auch hierzulande kein Unbekannter. Zum Tod von Youssef Chahine.

Nein, man kann keineswegs sagen, Youssef Chahine, der weltberühmteste ägyptische und auch arabische Filmregisseur, sei hierzulande völlig unbekannt. Sein letzter Film „Chaos“ kam sogar ins Kino. Die Farce um einen allmächtigen Oberpolizisten, der aus Eifersucht den Liebsten seiner Nachbarin foltert und schließlich ein ganzes Stadtviertel terrorisiert, fand in diesem Frühjahr exakt 1485 zahlende Zuschauer.

Auf sogar 6312 aufmerksame Augen brachte es vor elf Jahren „Das Schicksal“: Chahines späte Premiere im deutschen Kino geißelt im Gewande des Historienfilms – im 12. Jahrhundert werden auf Geheiß einer Sekte die Schriften eines Philosophen verbrannt – jeglichen Fundamentalismus. Doch das Werk des Ägypters, der am Sonntag, wie gestern gemeldet, in Kairo 82-jährig starb, blieb ein Geheimtipp für cineastische Weltenwanderer.

Ein Außenseiter auch auf dem Filmthron war Chahine zeitlebens, ein Gefährdeter, ein immer wieder gegen das Verboten- und Vergessenwerden anarbeitender Künstler – da mochten ihn die Berlinale, 1979 für sein autobiografisches Essay „Alexandria – warum?“, oder auch Cannes, 1997 für das Lebenswerk, noch so sehr ehren. Anders als etwa die iranischen Meisterregisseure, die angesichts der Unfreiheit zu Hause ganz auf die Weltkarriere mit entsprechend moderner Filmsprache setzen, wollte der Sozialkritiker Chahine immer auch vom heimischen Publikum geliebt werden. Die daraus folgenden Kompromisse lassen sein Werk so disparat wie schillernd erscheinen.

Melodram und Musical, Neorealismus und Kostümfilm, Telenovela und Tanzlust fast à la Bollywood: In seinem faszinierenden Gemischtwarenladen führte Chahine stets kräftige Stoffe und Farben. In „Kairo – Hauptbahnhof“ (1957) gab er den Ausgestoßenen filmischen Raum, im Epos „Himmel und Hölle“ feierte sein Landsmann Omar Sharif Leinwandpremiere, und in „Der Anwalt“ (1984) und „Der Emigrant“ (1994) legte der Regisseur sich offen mit der Zensur an. Dass das Gute vom Bösen meist messerscharf geschieden war, grundiert von der tadellose Gesinnung des Regisseurs: Das Überdeutliche macht die Unverwechselbarkeit von Chahines Werk aus, das sich zuerst im levantinischen Rezeptionsraum zu bewähren suchte.

In Alexandria mit libanesisch-griechischen und vor allem christlichen Wurzeln geboren, blickte Chahine mit Liebe auf seine islamisch geprägte Heimat – und im Alter so scharf auf Fundamentalismus und Terror, dass ihm Ägypten und Amerika, wo er in seiner Jugend immerhin Filmregisseur gelernt hatte, gleichermaßen verhasst wurden. Wie heißt es in „Das Schicksal“ auf einem Insert, ausdrücklich versehen mit der Unterschrift Chahines? „Gedanken haben Flügel, niemand hält sie auf.“ Jan Schulz-Ojala

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