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Winslet Caprio

© Paramount

''Zeiten des Aufruhrs'': Wenn die Liebe untergeht

Ein Traumpaar wird erwachsen: "Zeiten des Aufruhrs" mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio ist ein Meisterwerk.

Er ist ein bisschen runder, sie ein bisschen spitzer als vor zwölf Jahren, aber man erkennt sie wieder: Leonardo DiCaprio und Kate Winslet, deren jähe, leidenschaftliche, Klassenschranken einreißende Liebe den Untergang der „Titanic“ überstrahlte, sind nun das, was man ihnen damals am wenigsten gewünscht hätte: ein ganz normales amerikanisches Mittelschichtspaar. Was kommt, nachdem die Liebe erkaltet ist, zeigt „Zeiten des Aufruhrs“, der neue Film von Sam Mendes („American Beauty“, 1999). Es ist ein Meisterwerk.

DiCaprio und Winslet spielen das Ehepaar Frank und April Wheeler, die eines Abends im Jahr 1955 nach einer desas trös gescheiterten Laientheateraufführung, bei der April die Hauptrolle spielte, nach Hause fahren. Sie streiten heftig, weil beider Illusionen über sich selbst und übereinander mit dem Misserfolg ins Wanken geraten: Die Schauspielschülerin April war sieben Jahre früher das glamouröse Objekt von Franks Begehren gewesen, nun wollte und sollte sie noch einmal beweisen, dass sie das wert war.

Beide müssen sich jedoch eingestehen, dass sie nichts von jeder anderen kunstgewerblich dilettierenden Hausfrau unterscheidet und ihn nichts von jenen Ehemännern, die ihre Frauen genau dazu ermutigen, damit sie ihr Vorstadtleben überhaupt ertragen können. Sie schämen sich vor- und füreinander, doch dann scheint es für eine Weile, als ob ein neuer Plan über das Elend der verlorenen Illusionen hinweghelfen könne: April überredet Frank, nach Paris zu ziehen, um herauszukommen aus dem Alltag, den sie beide hassen. Für kurze Zeit haben sie ein Projekt, das ihren Status der Besonderheit, den Nachbarn und Freunde ihnen zugestehen, zu rechtfertigen scheint. Aber zur Abreise soll es nicht kommen.

„Zeiten des Aufruhrs“ ist eine Adaption des 1961 erstveröffentlichten Romans von Richard Yates, der in „Revolutionary Road“ seine eigene Generation und soziale Schicht beschrieb: die der um 1955 dreißigjährigen Männer, Kriegsveteranen und Hochschulabsolventen, der Studienabbrecherinnen aus Heiratsgründen, gebildet und interessiert genug, um zu begreifen, dass es noch etwas anderes geben muss als das normierte Angestelltenleben im relativen Wohlstand. Einen Teil ihres Frusts ertränken Yates’ Helden in den obligatorischen Feierabend-Martinis samt Sekretärinnen-Affären, und sie verfügen über außerordentliche Fähigkeiten, sich mit ihrem Unglück zu arrangieren, solange sie den damit verbundenen Bequemlichkeiten auch nur das Geringste abgewinnen können: „Er öffnete mit der freien Hand den Kragen, um sich den Hals zu kühlen, aber auch um den erwachsenen, kultivierten Griff nach Seidenschlips und Oxfordhemd zu genießen.“

Leonardo DiCaprio gelingt es, ebensolche Gemütsregungen auf die Leinwand zu bringen. Sein Frank Wheeler ist gewandt, freundlich und selbstgefällig. Er ist die kongeniale Verkörperung eines Yates’schen Helden: ein Mann, der mehr erreichen wollte, sich aber insgeheim auch mit dem abzufinden bereit ist, was ihm gerade geboten wird. Regisseur Sam Mendes hat, um die Figur zu charakterisieren, eine Art Parade der Angestellten choreografiert: Frank geht in Anzug, Hut und Mantel aus dem Haus und verschmilzt bereits am Vorortbahnhof mit seinesgleichen: den Schlafstadt-Männern, die zur Arbeit in die City fahren. Am Grand Central angekommen, bewegt Frank sich in einem Heer von uniformierten Pendlern, die zielstrebig auf ihre Büros zusteuern. Und jetzt weiß man es ganz genau: Es gibt nichts, was Frank von den anderen unterscheidet, gar nichts.

Doch das eigentliche Ereignis ist Kate Winslet. Ihre April ist eine fragile, immer nervöser werdende amerikanische Hausfrau, ein bisschen eleganter und intelligenter vielleicht als die anderen und deutlich glamouröser als im Buch angelegt. Die mühsam gepflegte Fassade beginnt im Verlauf des Films heftig zu bröckeln, und Winslet spielt deren endgültiges Zusammenfallen mit verstörender Intensität.

Die Inszenierung von Sam Mendes, der mit Kate Winslet verheiratet ist und das Projekt mit ihr zusammen entwickelte, ist dabei kalt und präzise: Wie Fremdkörper purzeln ein paar Kinder durch die Vorgärten; in den adretten Holzhäuschen hängen die Decken so tief, dass sie deren Bewohner zum ständigen Kopfeinziehen zu zwingen scheinen; in Büroparzellen werden sie eingezwängt, und stehen unter ständiger Beobachtung. Makellose Oberflächen, Frisuren und Kleider charakterisieren die Welt der Frauen, gähnende Leere und das ängstliche Bemühen, die Depression in den Augen der anderen nicht zu entdecken. Es ist nur scheinbar eine vergangene Zeit. Die großartigen 50er-Jahre Dramen der letzten Jahre wie „Far from Heaven“ (2002, Todd Haynes) oder die Julianne-Moore-Episode aus „The Hours“ (2003, Stephen Daldry) hat „Zeiten des Aufruhrs“ noch übertroffen.

In 20 Berliner Kinos, OV im Odeon, Cinestar Sony-Center und Colosseum

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