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Odine Johne, geboren in Stuttgart und seit zehn Jahren mit Unterbrechungen in Berlin lebend, spielt die Hauptrolle der Agnes in Johannes Schmids

© mm-filmpresse/Neue Vision

Kinoheldin von "Agnes": Odine Johne: Die Frühlingszeitlose

Ein Liebespaar erfindet sich seine Geschichte - in Peter Stamms Roman "Agnes". Die Hauptrolle der Verfilmung, die jetzt ins Kino kommt, spielt Odine Johne - so zurückhaltend wie sensationell. Ein Porträt.

Sie heißt Agnes. Sie ist die schöne, schwirrende, schön verwirrende Kopfgeburt des Schweizer Autors Peter Stamm, Titelheldin seines vierten Romans, der 1998, sechs Jahre nach Fertigstellung, als sein Debüt durchging, weil die ersten drei keinen Verleger gefunden hatten, aber das ist eine andere Geschichte. Peter Stamm war Ende zwanzig, als er Agnes so erfand: „Ihr Äußeres war nicht auffallend, sie war schlank und nicht sehr groß, ihr braunes Haar war schulterlang und dicht, ihr Gesicht bleich und ungeschminkt. Nur ihr Blick war außergewöhnlich, als könne sie mit den Augen Worte übermitteln.“

Es ist ein namenloses Ich, das Agnes sofort verfällt, ein aufgehörter Geschichtenerfinder, einer, der längst auf Sachbuchautor macht und sich an seine einzige belletristische Veröffentlichung, einen Band mit Stories, kaum mehr erinnern mag, außer dass das Büchlein exakt 187 Mal verkauft wurde, aber das führt jetzt wieder weg, das ist bloß eine Vorgeschichte. Agnes also, eine durchdringend leise, aufmerksame, ernsthafte Person, tritt im Lesesaal einer Bibliothek in sein Leben, sie Physikstudentin, er für den nächsten Auftragstext recherchierend, und eines Morgens nach einer Nacht ermutigt sie ihn, mit dem einzig wahren Schreiben, dem literarischen, wieder anzufangen. Schreib doch eine Geschichte über mich, schlägt sie vor, und schon sind da zwei, die sich ihre gemeinsame Geschichte erfinden.

Odine - als Vorname so einzigartig wie jeder Mensch

Neuerdings spaziert Agnes, im Roman noch Amerikanerin aus Chicago, nun als Deutsche aus Irgendwo in unsere Kinos hinein, in „Agnes“ von Johannes Schmid, der bislang vor allem mit schönen Kinderfilmen auffiel, „Blöde Mütze“ und „Wintertochter“, mit Letzterem holte er den Deutschen Filmpreis, aber das ist auch schon wieder eine andere Geschichte. Nicht ablenken von Agnes, die einen in den Blick nimmt vom ersten Bild an, die dazu langsam und sparsam spricht, als hätte man sie bloß geträumt, eine Frau so jung wie Peter Stamm und auch so alt, als er diesen frühen Roman schrieb, und vielleicht ist ja so eine Persönlichkeitsentwicklung mit 29 reichlich abgeschlossen, und nachher kommt bloß noch ein Restchen hinzu.

Sie heißt Odine, auszusprechen Odin, aber nicht wie der Obergott aus der nordischen Edda, sondern auf der zweiten Silbe betont, und es ist Odine Johnes Vater, dem der Vorname einst im Schlaf erschienen ist, und damals, zu Frühlingsanfang vor 29 Jahren, als die Tochter geboren war, zog es sich tagelang hin, bis dieser nicht in den Listen vermerkte Name standesamtlich genehmigt war. „In meinem ganzen Leben habe ich niemanden kennengelernt, der so heißt wie ich“, sagt Odine Johne, und solche Unverwechselbarkeit findet sie schlicht „passend für einen Menschen, der geboren wird“.

Das Paar. Stephan Kampwirth und Odine Johne im Film "Agnes" von Johannes Schmid.
Das Paar. Stephan Kampwirth und Odine Johne im Film "Agnes" von Johannes Schmid.

© mm-filmpresse

Es ist kein lauthals formuliertes Bestehen auf Einzigartigkeit, mit dem sie da an ihrem Vornamen herumdenkt, eher ein Suchen nach dem, was er in aller Tiefe für einen bedeuten kann, wie überhaupt das Gespräch an diesem Frühlingsvormittag ein Suchen und Herumdeuten ist, vor allem an Agnes natürlich, die in der Person von Odine Johne so imponierend kongenial hinübergewandert ist vom Roman in den Film. Denn diese Agnes, todessehnsüchtig und zugleich ungemein vital, schimmert immer wieder hin und her zwischen der realen Figur, als der sie ihrem sachbuchhalterischen Film-Gegenüber namens Walter begegnet, den Stephan Kampwirth ebenfalls famos zurückgenommen spielt, und der Agnes, die da nun im Roman-im-Roman zu leben beginnt. Leicht geht anders – für das seine Geschichte erfindende Paar, für die Buchleser und Filmgucker, überhaupt für jeden, der sich von den schwankenden Planken der Realität losmacht ins Wasser eines Waldsees oder, um im Roman- und Filmbild zu bleiben, in den Winterschnee.

Am besten kommt das Filmkind seit jeher mit den "Lichtjungs" klar

Odine Johne also, geboren in Stuttgart. Zuerst ein Theaterkind. Der Vater, Oberbeleuchter, „hat das Licht am Theater von meiner Mutter gemacht und sich in diese Frau verliebt“, die damals Schauspielerin war. Später ist Odine auch an Filmsets rumgestromert, durfte „die Lampen in den LKW tragen“ und kommt bis heute an Drehorten am schnellsten mit den „Lichtjungs“ klar – „für viele Schauspieler sind die ja eine andere Welt“. Und weil sie eines der raren Filmkinder in Stuttgart war, geriet sie schon als Schülerin ins schillernde Geschichtenerfindermilieu, arbeitete mit 17 als Sprecherin in Hörspielstudios und ging mit Anfang 20, da war sie gerade nach Berlin gezogen, für ein paar Jahre zurück nach Baden-Württemberg, zum Schauspielstudium an die Akademie für Darstellende Künste in Ludwigsburg.

Das sind so Stationen, die sind konkret. Wie überhaupt Odine Johne, die als blau gekleidete Fee zum Gespräch im „Agnes“-Weltvertriebsbüro von Pluto-Film am Wittenbergplatz erscheint, in deutlich leuchtenderem Blau als ihre so täuschend mauerblümchenhafte Lesesaal-Agnes, gänzlich bodenständige Seiten hat, indem sie zum Beispiel gerne „toll“ sagt oder „total spannend“ und auch „echt?“, wenn sie etwas verblüfft. Eine junge Frau von heute eben, keine „alte Seele“, als die sie ihre Agnes empfindet, keine „Seherin“, heftig oszillierend zwischen dem sehr Sinnlichen und dem vage Übersinnlichen. Und trotzdem.

"Oberflächlichkeit fällt mir schwer"

Odine Johne will ihrer Agnes, für deren Verkörperung sie übrigens unlängst den prominenten Nachwuchspreis des Max-Ophüls-Festivals erhielt, entschieden ähnlich sein. „Oberflächlichkeit fällt mir schwer“, sagt sie. Oder: „Agnes hat dieses Erstaunen über die Welt. Die Augen weinen, könnte man denken. Sie sprechen von Abschied. Das ist lustig, weil das ja ich bin.“ Oder: „Es gibt keine Selbstverständlichkeit in dieser Person. Das kenne ich gut.“ Oder, wie ein Ausbruch nach einem zögernden Nachdenken: „Wenn ich jetzt morgen sterben würde, würde ich mich freuen, dass die Sonne scheint. Für mich bleibt alles immer besonders.“

Vom Tod ist viel die Rede im Buch „Agnes“, und an seinem Schluss grübelt derzeit in Süddeutschland ein ganzer Abiturjahrgang herum. Bei genauem Hinsehen ist er eindeutig, aber es sind ja gerade die Überblendungen zwischen irgendwie tatsächlichem Geschehen und teils gemeinsam erfundener und ins gefährlich Ungefähre vorantreibender Geschichte, die den Reiz des Films ausmachen. Berückend auch im Gespräch die Beobachtung, wie sich die Zauber- und Denkfigur Agnes in die fulminant reale Jungschauspielerin Odine Johne verwandelt – und, sieht und hört man dieser sensiblen jungen Frau eine Weile zu, zurück in Agnes, das Leinwandgeschöpf. In Peter Stamms Roman schreibt Agnes sogar selber ein paar Zeilen Fiktion in den Computer, zu denen der denn doch eitle Ich-Erzähler, zart aufgefordert zu einer Stellungnahme, kaum etwas sagen will. Schon löscht sie den Text ohne weitere Umstände und sagt: „Vergessen. Gehen wir spazieren?“

Richtig, fast vergessen: Die sogenannte Wirklichkeit wäre jetzt eine prima Alternative.

„Agnes“ läuft ab Donnerstag in Berlin in den Kinos Hackesche Höfe, Moviemento und Kulturbrauerei.

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