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Am Ende verstehen sich alle. Auch wenn manchmal Gesten bei der Konversation helfen müssen – die jungen Könner beim Talent Campus der Berlinale sprechen eine Sprache.

© Berlinale

Kinonachwuchs: Viele Talente, eine Sprache

350 junge Filmleute aus 88 Ländern sind zu Gast beim Talent Campus. Wo tauschen sie sich über ihre Projekte aus? Zum Beispiel beim Speed Matching.

Was die Anwesenheit von Stars angeht, kann der Talent Campus locker mit dem Berlinale-Wettbewerb mithalten. Alljährlich vermitteln hier die Meister des Geschäfts der jungen Filmemachergeneration ihre Erfahrung. Cutter Walter Murch und Kameramann Christopher Doyle waren schon da, dieses Jahr stehen unter anderem Harry Belafonte und Bären-Gewinnerin Jasmila Zbanic („Grbavica“) auf dem Programm. Eine einmalige Chance für die Talente, von diesen Größen zu lernen und mit ihnen in Kontakt zu kommen. Genauso wichtig, wenn auch weniger publikumswirksam, ist der Kontakt der Talente untereinander. 350 Regisseure, Produzentinnen, Autoren, Kameraleute, Cutterinnen und Komponisten aus 88 Ländern treffen dieses Jahr aufeinander, organisiert in täglichen Veranstaltungen namens Speed Matching.

Die erste Sitzung steht allen offen. Die Talente sitzen sich im Kreis auf Papphockern gegenüber, in der Mitte steht Zeremonienmeister Matthijs Wouter Knol und quäkt alle drei Minuten mit einer Hupe, das Signal für die jeweils außen sitzenden Talente, einen Hocker nach links zu wechseln. Drei Minuten, das ist selbst für einen ersten Eindruck nicht viel Zeit, entsprechend energisch gehen die Filmemacher aufeinander los. Es wird gestikuliert, gelacht, Hände werden geschüttelt und Visitenkarten getauscht. In dieser Stunde führt jedes der Talente 20 Gespräche. Nach einer halben Stunde sind viele heiser, immerhin muss man sich permanent gegen 149 andere Gespräche durchsetzen. Doch das Reden scheint süchtig zu machen. Als die Veranstaltung beendet wird, reden die Teilnehmer im Stehen weiter.

Die Speed-Matching-Einheiten der nächsten Tage finden dann im kleineren Kreis statt: Regisseure und Autoren, Regisseure und Schauspieler, Regisseure und Produzenten, rund 50 Teilnehmer pro Sitzung. Es sind Gelegenheiten, relativ gezielt Leute zu treffen, die man für sein Projekt gebrauchen kann. Wie der Südafrikaner Wim, der bislang hauptsächlich Werbefilme gedreht hat und jetzt nach Kontakten für die Realisierung eines Dokumentarfilms sucht, vornehmlich Produzenten aus London, Vancouver und New York. Aber natürlich spricht er auch mit Teilnehmern aus anderen Ländern, schließlich sitzen sie in zufälliger Reihe und wechseln Hocker für Hocker weiter. Die Begegnung mit Filmemachern aus Ländern wie Pakistan und Palästina empfindet Wim als „inspirierend, weil sie unter schwierigen Bedingungen tolle Sachen machen“.

Die Frage nach dem Herkunftsland beginnt praktisch alle Gespräche, immerhin muss eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Außer Englisch hört man Deutsch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Portugiesisch und Persisch. „Wie der Turm von Babel des Films“ staunt die Regisseurin Anna aus Melbourne über das Sprachengewirr. Sie war in den Neunzigern schon einmal zur Loveparade in Berlin und möchte auf dem Talent Campus ihr internationales Netzwerk erweitern. Auch die quirlige Australierin nutzt die Frage der Nationalität als Einstieg in die Konversation. Einen jungen Regisseur aus Bangladesch strahlt sie an: „Cool, du kommst von meiner Seite der Welt!“

Der gemeinsame Nenner ist natürlich Film, und früher oder später landet dort jedes Gespräch. Mal konkreter, auf geplante Projekte bezogen, mal ganz allgemein. Der finnische Regisseur Mika fragt jeden nach dem besten Film seines Landes. „Samson and Delilah“, antwortet Anna, „und aus deinem?“ – „Kaurismäki. Sonst nichts.“ Andere fachsimpeln über Kamerakräne oder klagen über ihre Produzenten. Doch manchmal scheitert die Suche nach Gemeinsamkeiten auch. „Was für Filme schreibst du?“, fragt Wim einen Autor namens Fleming aus Dänemark. „Über dysfunktionale Familien.“ – „Schwarze Komödien?“ – „Nein, eher realistisch.“ – „Magischer Realismus?“ – Fleming schüttelt nachdenklich den Kopf. „Eigentlich nicht.“

Ist eine Gemeinsamkeit gefunden, werden die Gespräche konstruktiv. Dann wird über künstlerische Visionen und geplante Projekte gesprochen. Besonders gut vorbereitete Talente verteilen DVDs mit ihrer Werkschau, andere fotografieren ihre Gesprächspartner mit Visitenkarte in der Hand, um später noch Karten zu Gesichtern zuordnen zu können. „Ich habe auch eine Website, die ist letzte Woche fertig geworden“, sagt Kameramann Thomas. „Meine auch“, sagt Wim. Nach einigen Tagen haben manche ihr Pulver verschossen. Erst als Wim erzählt, dass er schon zwei Festivalpreise gewonnen hat, packt Produzent Max aus Köln seine Karte aus. „Das ist meine alte, die Telefonnummer stimmt nicht mehr“, sagt er. „Die neuen sind schon alle weg.“

Geschätzte 70 Filme sind aus solchen Begegnungen in den letzten acht Jahren hervorgegangen. Mehr als alles andere ist der Talent Campus eine internationale Partnerbörse. Auch der aktuelle Jahrgang wird filmischen Nachwuchs hervorbringen.

„Cool, du kommst von meiner Seite der Erde“, freut sich die Australierin

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