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Kultur: Kirmes für die Königin

Ein Orgelspektakel in der Berliner Philharmonie.

Einst galt sie als Königin der Instrumente, doch von diesem Thron hat das Klassikpublikum die Orgel längst verstoßen: Ein steifer Gottesdienstbegleiter für Kirchgänger, so lautet das Vorurteil. Doch inzwischen setzen sich Jungstars wie Cameron Carpenter in glitzerndem Strass auf die Orgelbank, Kino- und Kaufhausorgeln werden restauriert, Musikpädagogen entlarven Orgelklischees in der Kinderliteratur. Viel früher schon hat der 1930 geborene Jean Guillou die Zeichen der Zeit erkannt. Seit Jahrzehnten kämpft der Titularorganist von St. Eustache zu Paris für ein ganzheitliches Verständnis seines Intruments, dessen weltliche Verwendung bis in die Arenen der Antike zurückreicht.

Entsprechend hoch sind die Erwartungen in der Berliner Philharmonie, als der „Liszt der Orgel“ mit seiner altväterlichen blauen Schleife am Kragen auf das Podium marschiert. Ein Flügel, eine mächtige Schlagzeugbatterie und vier Truhenorgeln sind auf der Bühne aufgebaut, vier weitere Truhenorgeln über den ganzen Saal verteilt, an denen unter anderem Hansjörg Albrecht und der Kölner Domorganist Winfried Bönig Platz nehmen. Ein Befreiungsschlag wird Guillous abschließende Komposition „La Révolte des Orgues“ (der Aufruhr der Orgeln), die all diese Kräfte im Raumklang vereint, dennoch nicht: zu wenig Dialog weiß Guillou mit seiner in den Raum getupften spröden Motivik zu schaffen, zu kurz und unvorbereitet ist das dröhnende Ende im Tutti.

An der Schwelle zwischen pikanter Klangkunst und kirmeshaftem Kuriosum balanciert zuvor die Bearbeitung von Bachs Konzert für Streicher und vier Cembali für fünf Orgeln BWV 1065. Seinen ganzen Charme lässt Guillou aber in drei locker hingeworfenen Scarlatti-Sonaten sprühen, auch wenn er bisweilen vom Recht des Altmeisters auf beherzt falsche Töne Gebrauch macht. Am stärksten wirkt Guillou ausgerechnet am Klavier. Zusammen mit Johannes Skudlik an den Tasten liefert er sich bei der Uraufführung seines „Poém“ einen hinreißenden Dialog mit der Percussionistin Hélène Colombotti. Carsten Niemann

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