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Kultur: Kirmeskrach

Alles hyper: Scooter beschallt die Fans in Berlin.

Von Jörg Wunder

Froh zu sein, bedarf es wenig. Scooter beweisen am Karfreitag in der O2 World, welche minimalistischen Mittel ausreichen, um eine Menge von fast 10 000 Menschen zur kollektiven Entgrenzung zu bringen. Scooter, das ist in erster Linie H.P. Baxxter, ihr 46-jähriger, aus dem ostfriesischen Leer stammender Sänger und Vortänzer. Wer Popmusik nach handwerklichen Kriterien beurteilt, könnte zu dem Schluss kommen: Der kann ja gar nichts. Der kann nicht singen, sondern bellt nur im verzerrten Megafon-Modus lachhafte Parolen ins Mikro.

Tanzen kann er auch nicht, jedenfalls nicht elegant, sondern genauso ungelenk wie man selbst früher in der Dorfdisco. Baxxters koordinatorische Leistung besteht eher darin, nicht auf einem der Flammenwerfer zu stehen, wenn er mit gereckten Fäusten die Fans zu noch mehr Ekstase anhält. Dafür kreiselt ein Quartett Tänzerinnen um ihn herum, die durch rasche Kostümwechsel verblüffen - wobei sie selten mehr als luftige Korsagen am Leib haben.

Ein Instrument spielt H.P. Baxxter sowieso nicht. Das Wenige, was bei einem Scooter-Konzert nötig ist – die richtigen Sounds aus dem Sampler abrufen, hier und da ein paar schaumige Pianoakkorde klimpern – überlässt er seinen treuen Adlati Michael Simon und Rick J. Jordan. Dass ein durchschnittlich talentierter Typ wie Baxxter, der in einem weniger glamourösen Lebensentwurf vielleicht Feldwebel bei der Bundeswehr geworden wäre, trotzdem ein Star ist, birgt natürlich Identifikationspotenzial: Wenn der es schafft, dann kann es jeder schaffen.

Noch vor der bestechend effektiven Show, zu der unbedingt höllisch laute Böller, grünes Laserlicht-Gewaber und fraktale Videoprojektionen gehören, ist die Musik das erste Geheimnis eines Erfolges, der Scooter allein in Deutschland 23 Top-10-Hits bescherte. Sie verschmelzen den handelsüblichen Kirmestechno-Mix aus Mickeymaus-Vocals, galoppierenden Beats und quietschenden Synthesizer- Fanfaren mit dem Kontinuum der Pophistorie, indem sie krass beschleunigte Gassenhauer durch den Sampling-Reißwolf drehen.

Berührungsängste kennen Scooter nicht. Status Quo müssen ebenso dran glauben wie Chaka Khan oder Supertramp, Vicky Leandros wird zum Duett geladen („C’est Bleu“) und das friedensbewegte „Sieben Tage lang“ der Bots im Ballermann-Kosmos vereinnahmt („How Much Is The Fish?“). Das Publikum, erkennbar mit seinen seit über 15 Jahren im Techno-Mainstream zu verortenden Lieblingen mitgealtert, verausgabt sich knapp zwei Stunden lang bis zur obligatorischen Zugabe „Hyper Hyper“, der Gaga- Hymne schlechthin. Die Jüngeren gehen lieber zu Bands der nächsten Remmidemmi-Generation wie Deichkind oder Frittenbude. Jörg Wunder

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