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Klassik: Berlin wartet auf Runnicles

Volles Risiko: Vor seinem Amtsantritt im Sommer dirigiert Donald Runnicles das Deutsche Symphonie-Orchester in der Philharmonie.

Die Musiker der Deutschen Oper wären gerne gekommen, um ihren künftigen Chef im Sinfoniekonzert zu erleben – allein, es gab zeitgleich die „Helena“-Premiere im Haus an der Bismarckstraße (siehe Rezension). Donald Runnicles, vor seinem Berliner Amtsantritt im August – wie musiziert er, was macht er für eine Figur?

Das Deutsche Symphonie-Orchester jedenfalls trägt er auf Händen am Sonntagabend in der Philharmonie. Oder besser: auf seinen breiten Schultern. Hellwach, hochkonzentriert, mit sanfter Autorität und äußerster Präzision nähert er sich Anton Weberns „Sechs Stücken für Orchester“ op. 6: kompakte Intensitäten, kondensierte Emotion, schockgefrorene Dramen. Im Trauermarsch erzittert die Luft, die Stille bebt, schließlich provozieren die Schlagzeuger ein wahres Inferno. Der Krach und das Trauma danach: Runnicles sorgt für Extremspannung, und das DSO spielt sichtlich begeistert volles Risiko.

Auch den mystisch-fiebrigen Texten von Alban Bergs „Sieben frühen Liedern“ begegnet der 54-Jährige mit antiromantischen Reflexen. Runnicles ist kein Zauberer, keiner, der sich der Musik hingibt, aber auch kein Technokrat. Eher ein Kopfspieler, der die Oberfläche von Bergs Klangfarbstrukturen so lange abscannt, bis sie ihr Geheimnis offenbaren. Alles singt, hier und jetzt, zärtlich, energisch, Musik als reines Präsens, als Feier des Diesseits. Die finnische Sopranistin Soile Isokoski schmiegt sich dem Gesang der Instrumente kongenial an – eine federleichte, noch in den Spitzen delikat verhaltene, anrührende Stimme im goldenen Käfig. Sie rüttelt nicht an den Stäben, trumpft nicht auf, „leis wie eine Märchenweise“ heißt es mit Rilke im vierten Lied.

Donald Runnicles, der Schotte mit amerikanischer Karriere, dirigiert mit schier unglaublicher Aufmerksamkeit. Mahlers Erste nach der Pause findet man zunächst viel zu laut, blank, knochig – zu amerikanisch eben. Schon die leeren Quarten zu Beginn, aus denen heraus Gustav Mahler sein symphonisches Universum erschafft, künden von entschlossener Tatkraft. Der Tanz im zweiten Satz: nicht derb, sondern deutlich abgezirkelte Figuren. Der „Bruder-Jakob“-Kanon in Moll im dritten Satz mit nur vornehm kieksender Klezmer-Klarinette überrascht durch die liebevolle Integration all der Alleingänge und Außenseiter-Stimmen. Erst im Finale kippt das Bild.

Runnicles radikalisiert die Apotheose und treibt das DSO derart zur Raserei, dass die Gewalt zutage tritt, die den vermeintlichen Volkston drangsaliert und deformiert. Mahlers Erste als scharfkantiger, gleißender Eisberg, an dem alles Kunstschöne zerschellt, als Trümmermusik mit giftigen Blumen zwischen Ruinen. Die leeren Quarten künden nicht mehr vom Ursprung, sondern vom Ende der Welt. Runnicles, der Katastrophen-Meister: Der Deutschen Oper kann soviel Energie nur gut tun. Christiane Peitz

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