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Klassik: Der zweite Atem

Karl-Heinz Steffens war Berliner Philharmoniker. Nun arbeitet er in der Provinz – als Dirigent.

Solo-Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern – so einen Traumjob lässt man doch nicht sausen! Seit dem Jahr 2000 saß Karl-Heinz Steffens beim besten Orchester der Welt auf einem Holzbläser-Spitzenplatz. Es war die vierte Station des 1961 geborenen Trierers nach Jobs in Kassel, Frankfurt/Main und beim Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Für jeden anderen Musiker wäre es wohl die letzte gewesen. Karl-Heinz Steffens aber sehnte sich nach mehr, mochte als Solist nicht immer nur Mozarts Klarinettenkonzert spielen, hatte die Kammermusik-Literatur für sein Instrument weitgehend ausgereizt und sich im Orchester allen Herausforderungen gestellt. Vor der Musiker-Midlifecrisis sind auch die Mitglieder von Spitzenensembles nicht gefeit. Also beschloss Steffens, Dirigent zu werden.

Sein Netzwerk ist gut, Maestro Daniel Barenboim wird sein Mentor, Angebote lassen nicht lange auf sich warten – und die Feuerproben gelingen, etwa bei einem Auftritt mit dem Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach in Berlin. Da zeigt er, dass er auch als Dirigent beherrscht, was ihn als Instrumentalist ausgezeichnet hat: die Fähigkeit, mit der Musik zu atmen. Ende 2007 scheidet Karl-Heinz Stellens bei den Berliner Philharmonikern aus, am 9. März 2008 unterzeichnet er einen Vertrag als Generalmusikdirektor in Halle an der Saale.

Damit steht Steffens Deutschlands zweitgrößtem Orchester vor. Nur das Leipziger Gewandhausorchester hat noch mehr Mitglieder als die Staatskapelle Halle. Das Riesenensemble ist allerdings kein organisch gewachsener Klangkörper, sondern Ergebnis einer Zwangsfusion. Nach dem Krieg hatten sich in Halle zwei Klassikkombinate zusammengefunden: das Hallesche Volksorchester und das Orchesters des Landestheaters. Nach mehreren Umstrukturierungen befanden die Lokalpolitiker, dass sie sich nur noch ein Orchester leisten könnten. Die Zahl der städtischen Musiker von 197 auf 152 zu reduzieren, lautete 2003 der Auftrag. Kaum war der harte Einschnitt geschafft, kam am 26. November der nächste Sparbeschluss: Die Hochkultur-Institutionen der Stadt werden zur GmbH zusammengelegt, 122 der insgesamt 618 Stellen werden gestrichen, am schlimmsten trifft es erneut das Orchester. Mittelfristig wird Steffens nurmehr mit 99 Instrumentalisten arbeiten können.

Ein harter Einstieg in seinen Zweitberuf. Kurzzeitig zögerte Karl-Heinz Steffens darum auch, von der Ausstiegsklausel seines Vertrags Gebrauch zu machen. Dann aber entschied er sich zu kämpfen und zu bleiben. Im neuen Jahr wird Steffens sogar noch den Posten des künstlerischen Leiters der Oper übernehmen. Das optimistische Motto seiner ersten Spielzeit „Erwartung und Aufbruch“ hat durch die jüngsten kulturpolitischen Entscheidungen allerdings einen bitteren Beigeschmack erhalten.

Immerhin macht es ihm der Bühnenbildner Stefan Rieckhoff bei seinem Hallenser Debüt als Operndirigent so leicht wie möglich: Obwohl Steffens im September bereits einige „Fidelio“-Aufführungen an der Berliner Staatsoper dirigiert und auch schon Abende in Tel Aviv und Mannheim geleitet hat, ist das Musiktheater noch Neuland für ihn. Wenn beim neuen Hallenser „Don Giovanni“ das Orchester nun mit auf der Szene sitzt, dann kann der ganz rechts positionierte Maestro mit allen Beteiligten auf Augenhöhe agieren wie im Konzert. Immer wieder allerdings wird er auch ins Geschehen einbezogen. Denn viel Platz haben die Sänger nicht auf der schmalen Spielfläche vorne, dem Steg, der die Bühnen mittig durchschneidet, und der über den Köpfen der Musiker schwebenden Galerie. Helmut Polixa ist ein Regisseur, der hübsche Dinge mit der „Brecht-Gardine“ anzustellen weiß und sich vom Untertitel der Oper – „dramma giocoso“ – vor allem zum Heiterem inspirieren lässt. Titelheld Raimund Nolte erinnert dann auch mehr an Don Quixote als an Don Giovanni, und der tragische Schluss wird vertändelt. Viel präsenter wirkt da Gerd Vogels Leporello, ein kerniger Bassbariton, der sichtbar unter Strom steht. Unter den Damen sticht Myrsini Margariti heraus, als Zerlina mit Drang zur Diva.

Steffens koordiniert das Geschehen souverän, hält die Musik klug im Fluss, hütet sich vor Extravaganzen, überrascht immer wieder mit durchdachten Details, kurz: macht seine Kapellmeister-Sache vortrefflich. Zwei Tage nach der „Don Giovanni“-Premiere übrigens verkündet die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Karl-Heinz Steffens werde zusätzlich zu seinen Hallenser Verpflichtungen ab August 2009 den Chefdirigentenposten beim Konzertorchester in Ludwigshafen übernehmen. Auch in puncto Arbeitspensum scheint da jemand dem Vorbild Daniel Barenboims nachzueifern.

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