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Klassik Festival: Grenzgänger

Das Festival Young Euro Classic endet mit einem neuen Besucherrekord und mitreißenden Konzerten

Young Euro Classic ist ein Fest der Rituale. Da gibt es diesen feudal-blauen Europateppich, der jedes Jahr im August die große Treppe vor dem Konzerthaus schmückt, es gibt die sympathisch einfache Preispolitik, (15 Euro auf allen Plätzen) und es gibt unterhaltsame Konzerteröffnungen von prominenten Paten. Und dann ist da noch diese Festivalhymne, die jeden Abend von einem Bläser- oder Streicherensemble des konzertierenden Orchesters vorgetragen werden muss und an deren pseudopostmoderner Schrägheit die jungen Musiker regelmäßig verzweifeln. Klanglicher Genuss oder wenigstens avantgardistische Reibung kommt dabei selten heraus, eher ein peinliches Berührtsein der Beteiligten. Da machen selbst die Bläser des elitären European Union Youth Orchestra, das an diesem letzten Young-Euro- Classic-Abend ein fulminantes Festivalfinale schafft, keine Ausnahme.

Ein Hin und Her von Rauschzuständen und sachlicher, fast akademischer Motivbehandlung folgt nach der Hymne, in Miezyslaw Karlowicz’ „Bianca de Molena“. Dirigent Gianandrea Noseda lässt Fortissimi explodieren, ohne dem Orchester Kontrollverluste zuzugestehen, er malt Themen, statt sie zu meißeln und sorgt gleichsam auch in Prokofjews „Vier Porträts aus der Oper Igrok“ für eine extrem bildliche Klangsprache. Große russische Gefühlswelten, die schließlich in Tschaikowskys „Pathétique“ kulminieren. Mit monolithischen Streicherblöcken und wunderbar melancholischer Solo-Oboe im ersten sowie einer verspielten Angriffslustigkeit der Holzbläser im dritten Satz schafft das Orchester hier klangliche Parallelwelten, die als scheinbar einzig mögliche Konsequenz in die intime Ruhe des Finales münden. Stehende Ovationen.

27 Nationen sind dabei auf der Bühne vertreten – ein multinationaler Abschluss von Young Euro Classic, das in diesem Jahr vor allem ungewöhnliche regionale Schwerpunkte gesetzt hat. So war mit dem Festivalorchester Südosteuropa und seinen Musikern aus Serbien, Kroatien und Montenegro ein Ensemble zu Gast, das noch vor wenigen Jahren aus politischen Gründen undenkbar gewesen wäre, und auch mit den Orchestern aus Georgien, Armenien und Aserbaidschan präsentierten sich Länder, die sonst eher zum Niemalsland der E-Musikszene gehören, auf durchaus beachtlichem Niveau. Dass das Berliner Publikum allemal offen ist für diese Wege abseits des europäischen Klassik-Mainstreams, das zeigte allabendlich der volle Saal des Konzerthauses und schließlich auch der neue Rekord von 26 000 Besuchern.

Dass die Musik dennoch autonom ist, nicht unhinterfragt zur politischen Aussage werden kann, ging zwischen allen Lobeshymnen auf die multikulturellen Zusammenschlüsse bisweilen unter. Der georgische Preisträger des diesjährigen Komponistenpreises konnte seinen Preis am Sonntag nicht entgegennehmen, weil er so schnell kein Visum für Deutschland bekam. Europa ist eben mitnichten so vereint, wie es die Bühne suggeriert.

So war das Gastspiel des Nationalen Jugendsymphonieorchesters der Türkei am vorletzten Festivalabend auch weniger eine musikalische EU-Beitrittsverhandlung, wie Konzertpate Uli Deppendorf vorher angekündigt hatte, sondern vielmehr ein Plädoyer für mehr türkische Komponisten auf hiesigen Spielplänen.

Zum Beispiel für Ulvi Cemal Erkin, dessen Tanzrhapsodie „Köçekçe“ mit ihren eindringlichen Verbindungen von orientalischer Gestaltungsseele und westlichem Formbewusstsein spannende und spannungsgeladene Symbiosen schuf, in denen sich die jungen türkischen Musiker hörbar wiederfinden konnten. Oder für Mahir Çetiz und die deutsche Erstaufführung seines „Nightwalker“: ein zeitgenössisches Werk gänzlich ohne Grenzüberschreitung zur Atonalität – von den Türken aber mit viel Gespür für die Fragilität neuer Musik vorgetragen. Dass jedes Orchester heimische Musik mitbringt, auch das ist eine Tradition, die fortgeführt werden sollte. Sie belebt das Festival und erweitert Horizonte.

Daniel Wixforth

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