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Walter Braunfels

© Michael Braunfels

Klassik: Im Schatten der zwölf Töne

Verfemt und vergessen: Wer war Walter Braunfels? Am Sonntag wird seine "Heilige Johanna" an der Deutschen Oper uraufgeführt.

Für Adolf Hitler war die Sache sonnenklar: Der Mann zählte zu den angesagtesten Komponisten des Augenblicks, er lebte in der Hauptstadt der Bewegung und hieß auch noch Braunfels. Also klopfte er eines Tages im Jahr 1923 an die Tür des Münchner Künstlers, um ihm den Auftrag zu erteilen, eine Hymne für die NSDAP zu schreiben – und flog hochkant wieder raus. Mit der randalierenden Rassistenbande und ihrem Führer wollte Walter Braunfels, der Großbürgersohn, der feingeistige Intellektuelle und glühende Katholik, nichts zu tun haben. Für seine moralische Standhaftigkeit sollte er zehn Jahre später bitter büßen.

1882 wird Walter Braunfels in eine traditionsreiche Frankfurter Familie hineingeboren. Sein Vater Ludwig, ein vom Judentum zum Protestantismus konvertierter Jurist, hat sich als Übersetzer des „Don Quijote“ sowie des „Nibelungenliedes“ auch in der Kunstwelt einen Namen gemacht. Die Mutter, eine Großnichte des Komponisten Louis Spohr und begabte Pianistin, führt ihren jüngsten Sohn früh an die Musik heran. Walter zeigt großes Talent, geht zum Klavierstudium erst nach Wien, dann nach München, wo er die schöne Bertel kennenlernt, die Tochter des Bildhauers Adolf von Hildebrand, die allerdings mit Wilhelm Furtwängler verlobt ist. Er spannt das Mädchen dem Dirigenten aus, verdingt sich als Korrepetitor. Bereits 1909 kann er mit der fantastischen Oper „Prinzessin Brambilla“ nach E.T.A. Hoffmann einen ersten Erfolg als Komponist verbuchen.

Braunfels ist als Tonsetzer ein bekennender Traditionalist. Er wagt sich keineswegs so weit in die Grenzregionen der Tonalität vor wie sein bewunderter Kollege Richard Strauss (in „Salome“ oder „Elektra“). Da er aber ein Gespür für raffinierte Harmonik hat und seine Partituren klangprächtig zu instrumentieren weiß, avanciert er schnell zum Modekomponisten. Die 1920 uraufgeführte Oper „Die Vögel“, deren Libretto der belesene Braunfels selber aus Aristophanes’ Komödie destilliert, wird zum Hit der Saison, kurzzeitig überflügelt er in der Aufführungsstatistik sogar Richard Strauss.

Großen Erfolg hat auch sein monumentales „Te Deum“, ein leidenschaftliches Bekenntnis zum katholischen Glauben, dem sich Walter Braunfels im Angesicht der Schrecken des 1. Weltkriegs zugewandt hat. 1924 schließlich wird ihm vom Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer die Leitung der neu gegründeten Musikhochschule in der Domstadt angetragen. Doch Braunfels bleiben nur wenige Jahre, um das Künstlerleben in höchster gesellschaftlicher Anerkennung zu genießen: 1933 klassifizieren die Nazis ihn als „Halbjuden“ und jagen ihn unter dem Vorwand, er habe die Kölner Musikhochschule zum „Zentrum jüdischer Subversion“ gemacht, aus dem Amt. Die Aufführung seiner Werke wird verboten – doch eine Flucht ins Ausland kommt für ihn nicht in Frage: Dazu fühlt er zu deutsch, zu patriotisch. So bleibt Walter Braunfels nur die innere Emigration, der Rückzug zuerst nach Bad Godesberg, 1937 dann in die Idylle von Überlingen am Bodensee, wo ihn bald die Depression überfällt. Sein Stil wandelt sich vom Neobarocken zum Herben. Immerhin: Er komponiert weiter. Finanziell unterstützt von Schweizer Mäzenen, notiert er Klänge, die er in sich trägt, ohne Hoffnung darauf, sie jemals in seiner Heimat von Orchestern gespielt zu hören.

Nach zwölf Jahren kommt die Befreiung – doch an die Erfolge aus der Weimarer Zeit kann er nicht mehr anknüpfen. Ähnlich wie Franz Schreker, Erich Wolfgang Korngold oder Alexander von Zemlinsky gilt sein Beharren auf dem traditionellen Tonsystem nun als völlig veraltet. Die meisten Intendanten wollen Avantgarde spielen, die Entwicklung nachholen, von der Deutschland während der NS-Zeit abgeschnitten war. Schönbergs Zwölftontechnik, die Braunfels stets abgelehnt hatte, gilt nun als einziger möglicher Startpunkt, von dem aus eine neue Komponistengeneration in die Zukunft aufbricht. Zwar holt Adenauer Walter Braunfels wieder nach Köln, um die Musikhochschule neu aufzubauen, man überschüttet ihn mit Ehrungen, doch als er 1954 stirbt, sind seine Werke aus den Konzertsälen verschwunden. „Die Ächtung durch die Nachkriegsmoderne war im Grunde heftiger als die der Nazizeit“, resümiert heute sein Enkel Stephan Braunfels.

Darum hat sich der renommierte Architekt, der in Berlin das Paul-Löbe- sowie das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus am Reichstag gebaut hat, selber zum PR-Manager seines Großvaters ernannt. Seine konkreten Erinnerungen sind zwar überschaubar, schließlich war er gerade mal vier Jahre alt, als Walter Braunfels starb. Dennoch steht ihm der Vorfahre als „markanter Glatzkopf“ und „Bilderbuch-Großvater“ vor Augen: „Streng, ernst, Ehrfurcht gebietend“. Auch wenn Stephan Braunfels bereits mit sechs Jahren beschloss, Architekt zu werden, nachdem er mit seinem Vater Le Corbusiers Kapelle von Ronchamp besucht hatte, pflegte er stets eine Leidenschaft fürs Klavierspiel, kaufte sich sogar seinen „Traum-Flügel“, nachdem er den Wettbewerb für die Münchner Pinakothek der Moderne gewonnen hatte, spielte tagtäglich, bis er Arthrose in den Fingern bekam. Heute sagt er: „Ich hätte Dirigent werden sollen!“

Dann könnte er selbst die Partituren seines Großvaters aufs Pult legen, wäre nicht auf die Mithilfe anderer angewiesen. „Ich investiere viel Geld, um interessierte Künstler mit Notenmaterial zu versorgen.“ Maestri wie Lothar Zagrosek, Ulf Schirmer, Manfred Honeck und James Conlon hat er bereits als Mitstreiter gewonnen. Christian Thielemann dagegen, den bekennenden Konservativen, vermochte er bislang noch nicht anzustecken, obwohl, wie Stephan Braunfels gerne betont, der Chef der Münchner Philharmoniker ein erklärter Fan zumindest seiner Gebäude sei.

An Thielemanns ehemaliger Wirkungsstätte, der Deutschen Oper Berlin, wird heute Abend die Braunfels-Renaissance einen Höhepunkt erleben: Die 1939 bis 43 nach den Prozessakten entstandenen „Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“ erleben ihre späte szenische Uraufführung. Dass Hausherrin Kirsten Harms die Inszenierung des tiefreligiösen Werks Christoph Schlingensief anvertraut hat, löst bei Stefan Braunfels allerdings gemischte Gefühle aus: „Schlingensief, den ich schon lange kenne, ist eine der hinreißendsten Persönlichkeiten, denen ich je begegnet bin. Ein Fan seiner Opernarbeit bin ich allerdings nicht.“

Andererseits hält Braunfels die Jeanne auch nicht für die beste Oper seines Großvaters. Er persönlich bevorzugt die zuvor entstandene „Verkündigung“ nach Paul Claudels Mysterienspiel „L’annonce faite à Marie“, die er als geistige Schwester von Francis Poulencs Meisterwerk „Dialogues des Carmelites“ bezeichnet: „Ich glaube, dass die ,Verkündigung' eine unheimliche Lebenskraft hat.“

Noch hat kein Theater an dem Stück Interesse gezeigt, das 1948 in Köln auf Unverständnis bei Presse wie Publikum stieß. Andere Werke finden leichter Gehör: Am 21. Mai präsentiert der Tenor Clemens Biber bei seinem Liederabend in der Deutschen Oper auch Werke aus Braunfels’ Feder, am 8. Juni spielt das Deutsche Symphonie-Orchester unter Manfred Honeck das „Te Deum“, für den Juni 2009 haben die Kammermusiker der Berliner Philharmoniker Braunfels Streichquintett fis-Moll angekündigt. Lothar Zagrosek wird mit seinem Konzerthausorchester in der kommenden Spielzeit „Die Vögel“ aufführen und auch Andreas Homoki denkt über einen Braunfels für die Komische Oper nach.

„Berlin“, strahlt der Architekt, „wird jetzt Braunfels-Hauptstadt!“

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