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Kultur: Klassik-Popper

Ein Klavierabend mit Francesco Tristano.

Mit schöner Regelmäßigkeit arbeiten sich junge Männer nach oben, die die Rituale der klassischen Musik aufmischen. Sie verkörpern den alten Crossover-Traum vom Künstler, der keine Grenzen zieht zwischen Pop und Klassik, der weiß, dass das eine auf dem anderen aufbaut, der in beiden Welten zu Hause ist – und gleich gut: Cameron Carpenter an der Orgel, David Garrett an der Geige, Martin Grubinger am Schlagzeug. Auch der Pianist Francesco Tristano gehört in diese Reihe. Der 30-Jährige mit dem italienischen Namen (die Mutter ist Wagnerianerin) hat an der Juilliard School studiert, er ist für seine Einspielungen von Bachs Goldberg-Variationen hoch gelobt worden und tritt regelmäßig in Technoclubs auf – mit eigenen Kompositionen. Im Kammermusiksaal präsentiert sich ein schmaler Lockenschopf mit Jungsgesicht und Künstlerschal, der sich geschmeidig wie ein Balletttänzer bewegt und am Ende jedes Stücks aus einer Trance zu erwachen scheint.

Der reizvollen Erscheinung zum Trotz geraten einige Passagen aus Buxtehudes Variationen der Arie „La Capricciosa“ oder den Goldberg-Variationen bleischwer, andere sind nur angedeutet – der Schritt von zärtlich zu zaghaft ist kurz. Aber das sind Ausnahmen, letztlich hört man eine lebendige, farbenreiche Interpretation.

Als sich eine ostinate Bassfigur ein bisschen zu oft wiederholt, wird klar: Jetzt sind wir bei den Eigenkompositionen angelangt, das Keyboard, das schon neben dem Flügel wartete, darf endlich mitmachen. Tristano steht und spielt, begleitet von Synthesizerklängen, „Long Walk“, ein Stück, das auf den ersten acht Fundamentalnoten der Aria aus den Goldberg-Variationen basiert und der Minimal Music sehr nahe kommt. Ja, er hebt damit barocke Formen ins Heute. Aber er banalisiert sie auch. Denn die Klänge rauschen so schnell durchs Gedächtnis wie in der Chill-out-Zone eines Technoclubs. Stärkeren Eindruck hinterlassen die Zugaben, bei denen der brave Junge zeigen kann, zu welch aggressiven Anschlägen er in der Lage ist – und die weitgehend ohne elektronische Zutaten auskommen. Dass er das klassische Repertoire von Buxtehude bis Cage beherrscht, hat Tristano bewiesen. Er wird sich, so viel Prognose darf erlaubt sein, als Pianist, nicht als Komponist durchsetzen. Udo Badelt

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