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Klassik „Unter Sternen“: Wolken ziehen vorüber

Im Regen: Klassikevent „Unter Sternen“ am Sonnabend in der Waldbühne. Schirmträger kamen trotzdem auf ihre Kosten.

Das menschliche Auge lässt sich nur allzu willig täuschen. Es entdeckt Sonnenstreifen im endlosen Nieselregenhimmel und glaubt Sternenfunkeln bei tief hängender Wolkendecke auszumachen. Am leichtesten blickt das Auge über die sichtbare Welt hinaus, wenn sich Musik unter seine Seheindrücke schiebt. Auf diesen Effekt müssen auch die Besucher des Konzerts „Unter Sternen“ gehofft haben, die am Sonnabend in die Waldbühne strömen und sie, mit Schirmen bewaffnet, etwa zur Hälfte füllen. Zwischen den Proviantstationen, von denen viele geschlossen bleiben, weht ein feuchter Hauch von Nachsaison. Wohl dem, der in einem Plastikfläschchen Rotwein durch die Kontrollen geschleust hat.

So liegt denn alles in den Händen der Musik und der Tontechniker, die versuchen, ein druckvolles Klangbild in die steil anwachsenden Reihen zu senden. Sie bekommen ein mitreißendes Ausgangssignal aufs Mischpult, denn Andris Nelsons, der auf Tournee mit seinem City of Birmingham Symphony Orchestra in der Waldbühne eine Freiluftstation einlegt, sprüht vor Aufmerksamkeit und Inspiration, unberührt von der Generalprobe für den Herbst im Abenddunst um ihn herum. Unter seinen Händen gewinnt Wagners Rienzi-Ouvertüre mehr Konsistenz, als sie eigentlich hat. Ganz sacht breiten sich die Schwingen des Hauptthemas aus, ohne jede Angst vor abreißender Thermik, während der Marsch zügig und unaufgeplustert vorüberzieht.

Nelsons ist der ideale Dirigent für ein Programm, das Klassik populär, aber nicht populistisch präsentieren will. Seine Energie, sein Vertrauen in die Kraft der Musik lässt nie nach. Er muss ihr keine Emotionen soufflieren und kann mit seinem blitzschnellen Orchester wunderbar langsam musizieren, mit einer Innigkeit, die nie süßlich gerät. Mit Hélène Grimaud bildet Nelsons bei Beethovens 5. Klavierkonzert ein ideales Gespann, das Blickkontakt sucht und auf der Tagseite des Werks erstaunliche viele Schattierungen und Nischen aufspürt. Grimauds Spiel wirkt entwaffnend gelöst, selbstverständlich poetisch – ganz so, wie der Auftritt des Schlagzeugers Martin Grubinger. Nicht seine stupende Virtuosität und schon gar nicht der verschwollene Orchesterpart des Schlagzeugkonzerts „Frozen in Time“ von Avner Dorman nehmen gefangen, sondern Grubingers Erzähltalent. Sein Streben danach, immer noch subtilere Klangmischungen anzuschlagen und aus den Schlägen einen Fluss zu formen, der die Imagination mit sich reißt. Nelsons und seine Musiker setzen darauf noch eine virile Interpretation von Antonin Dvoraks Symphonie „Aus der Neuen Welt“.

Am Abendhimmel ist nichts zu erkennen, und doch glaubt das Auge Sterne sehen zu müssen.

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