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Startklar. Ivan Fischer in seiner neuen Arbeitsstätte am Gendarmenmarkt.

© Felix Broede

Klassik: „Wo Musik gelebt wird, entstehen Wunder“

Der Ungar Ivan Fischer ist neuer Chefdirigent beim Konzerthausorchester Berlin. Jetzt gibt er seinen Einstand. Ein Gespräch.

Herr Fischer, Sie wurden in Budapest geboren, haben Ihr Dirigierdiplom in Wien gemacht, sammelten erste Erfahrungen in England, später in den USA, sind inzwischen auch holländischer Staatsbürger und leiten ein eigenes Orchester in Ihrer Heimatstadt. Wo liegt für Sie das Konzerthaus? Wohin wird es sich mit Ihrem Antritt als Chefdirigent verschieben?

Ich lebe immer im Moment, in der Gegenwart. Jetzt ist das Konzerthaus für mich das Zentrum des Universums. Hier in diesem Saal muss die Musik entstehen, das ist alles, was mich interessiert. Ich glaube nicht, dass sich das Konzerthaus durch mich in irgendeine geografische Richtung verschieben wird. Hier entfalten sich verschiedene europäische Kulturen, und dazu will ich beitragen. Wenn man heute diskutiert, ob Europa sich zusammenzieht oder auseinanderfällt, kann ich nur sagen: Ich bin ein absoluter Zusammenzieher. Ich fühle mich zuerst als Europäer, dann als Weltbürger – und erst danach folgen die einzelnen Nationen. Das Wichtigste ist, dass man Brücken baut.

„Der Saal ist mein Instrument“ – mit diesem Satz stellen Sie sich auf Plakaten dem Berliner Publikum vor. Welches Instrument haben Sie am Gendarmenmarkt vorgefunden?

Ich finde den Klang im Großen Saal des Konzerthauses sehr schön. Die Farbe ist wunderbar, etwas dunkel, warm, mit einer guten Balance von Nachhall und Deutlichkeit. So ein Instrument muss man fein justieren. Ich habe zuerst einen Tag nur an der Akustik gearbeitet, und wir haben dabei eine einzigartige Orchesteraufstellung gefunden, die auf diesen Saal abgestimmt ist.

Die Musiker werden sich dabei auf neuen Plätzen wiederfinden.

Die Kontrabässe sitzen nun in der Mitte hinten, die Blechbläser rechts und links, die Violinen alle vorne auf zwei Seiten. Außerdem habe ich daran gearbeitet, wie hoch die verschiedenen Instrumente sitzen. Ich habe sehr genau zugehört und sie da einen Zentimeter höher, dort einen Zentimeter niedriger ausgerichtet. Diese neue Aufstellung ist meine Empfehlung an Gastdirigenten, es ist aber kein Muss. Mit ihr ist der Klang perfekt. Mir ist das Konzerthaus lieber als die Philharmonie, weil es wärmer, emotionaler klingt.

Sie haben Ihre erste Saison dem Andenken Kurt Sanderlings gewidmet, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Was verbinden Sie und das Orchester mit diesem großen Dirigenten?

Kurt Sanderling war zwar nicht der Gründer des Orchesters, aber die wichtigste Vaterfigur in der Vergangenheit, eine prägende Persönlichkeit über viele Jahre hinweg. Ich hatte zwei kurze Begegnungen mit ihm, die einen großen Eindruck auf mich machten. Für mich ist es eine wunderbare Gelegenheit, zu seinem Orchester zu kommen und das fortzusetzen, womit er beschäftigt war: Diese Leidenschaft für Musik habe ich auch. Dazu ein ständiges Bemühen, diese Liebe mit dem Publikum zu teilen. Ich fühle eine starke Verwandtschaft mit Kurt Sanderling, obwohl er einer anderen Generation angehört. Ich dachte sofort: Das ist mein Typ!

Das denkt das Konzerthausorchester auch von Ihnen. Sie wüssten aus der Arbeit mit Ihren Budapester Musikern, wie man ein Orchester zur Spitze führt. Dahinter steckt eine nicht geringe Erwartungshaltung.

Man sollte Orchester nicht zu viel miteinander vergleichen. Das ist kein Sport, es gibt keine Punkte. Das Wichtigste ist ein kollektives Gefühl dafür, dass man für die Musik lebt. Wenn diese Mentalität da ist, können Wunder entstehen.

Wie wollen Sie diesen Weg mit Ihren Musikern beschreiten?

Das kann man wie bei jeder Zauberei nicht mit Worten erklären. Wenn man jederzeit bereit ist zu suchen, etwas zu verbessern wie ein Maler, der sein Bild immer wieder betrachtet und Nuancen ändert, wenn man diese Besessenheit teilt, dann kann Zauber entstehen. Vor jeder Probe spielen wir einen Bach-Choral: Eigentlich ist das eine Intonationsübung, aber es wirkt auf die Seelen der Musiker, fast wie ein Gebet vor der Arbeit. Bach schließt die Außenwelt aus – und öffnet für das gemeinsame Musizieren.

Ihre Kollegen bei den anderen Orchestern der Stadt machen Education-Programme, Casual Concerts, kostenlose Open-Air- Konzerte und konzertante Opern. Wo sehen Sie Ihre Position im Berliner Konzert?

Das finde ich alles sehr inspirierend. Es ist wunderbar, wie viel gute Ideen es hier in Berlin gibt. Für mich geht es um die Qualität der Musik. Es geht darum, hier so schön zu musizieren, dass die Leute zu uns strömen und es hören möchten.

In Budapest gelten Sie als Programm-Innovator. Auf welche Fischer-Kombinationen kann sich Ihr Berliner Publikum freuen?

Ich höre immer, dass ich überraschende Dinge mache. Ich finde mich ganz normal. Mein erstes Konzert hier war ein Überraschungskonzert. Es wird auch in der Zukunft Überraschendes geben, aber das werde ich jetzt noch nicht verraten. Mir ist die Gegenwart sehr wichtig. Im Musikbetrieb planen wir Jahre voraus. Ich lasse so viel wie möglich offen, weil schnelle Entscheidungen oft schöner sind als die lange geplanten.

Sie dirigieren auch Opern. Haben Sie Berliner Opernpläne?

Meiner Meinung nach ist die Oper in eine Sackgasse geraten. Nach dem letzten „Parsifal“ im Juli in Amsterdam habe ich mir gesagt, das war das letzte Mal, dass ich in einem normalen Opernbetrieb im Graben stehe. Ein eigenes Festival würde ich aber gerne irgendwo gründen.

Während Kollegen versuchen, alle großen Orchester der Welt zu dirigieren, besinnen Sie sich aufs Komponieren und auf Ihr Budapester Orchester.

Ich arbeite mit immer weniger Orchestern: dem Budapest Festival Orchestra, dem Konzerthausorchester, dem Concertgebouworkest, den Berliner Philharmonikern. Das Gastdirigentenleben hat für mich gar keinen Reiz. Mich interessiert, mit einigen Orchestern in guter Atmosphäre zu musizieren, mit Leuten, die ich langsam mehr und mehr kennenlerne.

Welche Komponisten sind Ihnen nah?

Ich bin mit Mozart aufgewachsen, als Kind war ich der zweite Knabe in der „Zauberflöte“. Wir wohnten gleich gegenüber dem Opernhaus, und mein Vater sagte immer, fang mit den Mozartopern an. Bach ist auch ein wichtiger Mann, Bartók, Mahler natürlich. Im November gibt es einen Beethoven-Marathon im Konzerthaus. Ich komme aus einer jüdischen Familie mit echten Wagner-Fanatikern. Mein Vater hat am Klavier alle Leitmotive gespielt, damit wir sie als Buben in der Oper im Kopf haben.

Sie sind Botschafter der ungarischen Kultur und Träger der höchsten staatlichen Auszeichnung für Künstler. Würden Sie diese Auszeichnung auch von der gegenwärtigen Regierung annehmen?

Ich beobachte die Entwicklung in Ungarn sehr besorgt. Es gibt dort einen krankhaften Nationalismus. Die Leute müssen aufwachen und erkennen, dass das der falsche Weg ist. Ich bin ein absoluter Proeuropäer, was jetzt in Ungarn tobt, ist eine Anti-EU-Stimmung. Ich als Brückenbauer kämpfe dafür, Ungarn wieder nach Europa zurückzuführen. Wenn ein Nationalbesessener die Musik anderer Länder hört und erlebt, wie schön sie ist, dann kann das zu kosmopolitischem, internationalem, tolerantem Denken führen. Die Musik ist die wichtigste Kraft, um das, was ins Nationale auseinanderfällt, wieder zusammenzubringen.

Das Gespräch führte Ulrich Amling.

Am heutigen Freitag gibt er sein Einstandskonzert beim Berliner Konzerthausorchester. In dieser Saison wird er 19 Abende am Gendarmenmarkt leiten.

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