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Klassische Musik: Tödliches Gold in der Semperoper

Paul Hindemiths "Cardillac" ist weniger ein Repertoire- als ein Liebhaberstück. In der Dresdner Semperoper feierte das Werk 1926 seine Uraufführung - und nun seine Auferstehung.

Cardillac ist der Nachbar von nebenan. Strickjacke, offenes Hemd, dunkle Brille. Konzentriert übt er seinen Beruf als Goldschmied aus. So stellt sich niemand die Verkörperung eines Schaffensdämons vor. Cardillac wohnt im Zweipersonenhaushalt mit seiner Tochter, die er unterdrückt. Er meidet Kontakte, er fällt nicht auf. Typisch, dass die erregte Menge ihn übersieht. In Panik sucht sie nach einem Mörder, der in der Stadt umgeht.

Es ist ein lebenswahres Bild von dem Mörder Cardillac, das Regisseur Philipp Himmelmann in der Dresdner Semperoper ansteuert. Das Inszenierungsteam, darin Johannes Leiacker als Bühnenbildner mit einer schöpferischen Liebe zur Geometrie, wird gefeiert neben dem Generalmusikdirektor Fabio Luisi, der Sächsischen Staatskapelle, dem Chor und allen Interpreten.

Sie spielen eine Rarität. Paul Hindemiths „Cardillac“ ist weniger ein Repertoire- als ein Liebhaberstück. Selten und kostbar wie die Schmuckstücke, die ein Goldschmied im 17. Jahrhundert in Paris verfertigt, ohne von ihnen lassen zu können.

Die Handlung ist E.T.A. Hoffmanns „Fräulein von Scuderi“ entnommen. Ein Dämon, eine Sucht, zwingt Cardillac, alle seine Geschmeide nach dem Verkauf mordend zurückzuerjagen. Im expressionistischen Libretto Ferdinand Lions ist er ein bürgerlich-moralischen Maßstäben enthobenes Genie, sein Schicksal wird zur Künstlertragödie. Darüber wiederum streut die Inszenierung eine Prise Ironie, wenn Cardillac zum Schluss in seiner Mördermaske von einer Loge aus die Verehrung des Volkes genießt: „Ein Held starb“, so wird verkündet und geglaubt.

Ein echter Zwanziger-Jahre-Wurf, der Erneuerung der Oper aus dem absoluten Formbestand der Musik betreibt, eine Partitur aus Nummern wie, „Arie mit konzertierenden Instrumenten“, Lied, Menuett- und Marschcharakteren. Typischer junger Hindemith auch, Absage an das romantische Musikdrama, den illustrativen Verismus, das Sentimentale. Oper, betont unopernhaft. Es ist bemerkenswert, dass diese Herausforderung heute als musikalisches Juwel glänzt. Luisi musiziert , wie das Vorspiel verlangt, „mit sehr viel Kraft“, manchmal auch zu viel, zu dicht im Klang. Aber mit dem zweiten Bild wird das Orchester differenzierter in ruhigem Pianissimo.

Eine Dame – keine der Figuren außer Cardillac trägt einen Namen – wartet im Schlafzimmer auf ihren Geliebten: „Nachtwind weht“, singt sie (Evelyn Herlitzius mit leider zunehmendem Tremolo). Endlich kommt der Kavalier (Rainer Trost), der ihr eine goldene Schöpfung von Cardillac schenkt und mit ihm die seltsamste Szene, „Pantomime“: Der Schmuck, die Liebe, der Mord in rasanter Folge. Das Unabwendbare wird von einem Duett zweier Flöten begleitet.

Die Inszenierung ist ungleichwertig. Da Bettina Walter ihre für sich fantasievollen Kostüme von der Zeit der Handlung ins Heute führt, ergibt sich ein Gewusel von Reifröcken, das Angst und Schrecken des Volkes theatralisch untergräbt. Wenn mit seinem Vertreterköfferchen der Goldhändler (Michael Eder) eintritt, gelingt die Personenführung im privaten Bereich sehr einleuchtend.

Zumal die Situation in Cardillacs Haus prägt sich ein: dominierender Vater, unter seinem Einfluss die verformte Tochter, die ihrem Offizier (Oliver Ringelhahn) spröde zugetan ist. Nicht zuletzt, weil hier das führende Sängerpaar für sich einnimmt: die Sopranistin Anna Gabler und der Bariton Markus Marquardt.

Zweimal hat der Titelheld in Arioso und Arie zu singen, was dieser unauffällige, kranke Typ im Innern fühlt, was ihn zum Töten zwingt: „Aus Erdenklüften, viel dunkler als die Nacht, ist Gold gewachsen.“ Und da es sich seinem Schöpfergeist fügt, muss er sich holen, was ihm gehört, „tauchend in Brunnen von Blut“.

Die Chronik der Sächsischen Staatsoper Dresden verzeichnet die Uraufführung des „Cardillac“ 1926 unter dem Dirigenten Fritz Busch. Diesem kühnen Werk in einfühlsamer Interpretation wieder einmal zu begegnen, heißt jedenfalls Gewinn.

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