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Kultur: Klaus Wagenbach: Unabhängig zwischen Kopf und Kragen - Der Verleger feiert heute seinen 70. Geburtstag

Es gibt eine Anekdote, die der mitreißende Geschichtenerzähler Klaus Wagenbach besonders gern wiedergibt, wahrscheinlich, weil es sich um ein Initiationserlebnis handelt. Anfang der 50er Jahre machte sich der Student K.

Es gibt eine Anekdote, die der mitreißende Geschichtenerzähler Klaus Wagenbach besonders gern wiedergibt, wahrscheinlich, weil es sich um ein Initiationserlebnis handelt. Anfang der 50er Jahre machte sich der Student K. W. mit dem Fahrrad nach Italien auf. Im Land der Sehnsucht angekommen, blieb er in einem kleinen Dorf mit einer Panne liegen. Sofort entbrannte unter den gastfreundlichen Einwohnern ein Wettstreit darüber, wer den jungen Deutschen mit nach Hause nehmen dürfe. Es obsiegte eine resolute Frau, deren Sohn verreist war. Als Wagenbach sein Quartier betrat, traf ihn der Schlag: An der Wand prangten überlebensgroße Porträts von Mussolini und Stalin.

Es muss diese fröhliche Widersprüchlichkeit, dieser genußvoll ausgelebte Anarchismus gewesen sein, der Klaus Wagenbach seitdem an Italien fasziniert - von der allgemeinen Liebenswürdigkeit des Landes einmal abgesehen. An die siebzig italienische Autoren führt sein Verlag mittlerweile in der Backlist - darunter so große Namen wie Luigi Pirandello, Leonardo Sciascia, Italo Svevo, Carlo Emilio Gadda, Alberto Moravia, und immer wieder Pier Paolo Pasolini. Wagenbach verstand es, Pasolinis "verzweifelte Vitalität" den hiesigen Lesern nahe zu bringen.

Pasolinis "Freibeuter" wurde zum Namensstifter für die legendäre Hauszeitschrift, die es leider nicht mehr gibt. Neben dem Hanser-Verlag hat sich Wagenbach mit bewundernswerter Kontinuität zum bedeutendsten deutschsprachigen Publikationsort für moderne italienische Literatur entwickelt - ein Jubiläumsprogramm von "Wagenbachs andere Taschenbücher" gab in diesem Frühjahr Zeugnis davon. Der Umsatz des "unabhängigen Verlags für wilde Leser" wird mit fünf Millionen Mark angegeben. Sechzig Bücher erscheinen jährlich, Bücher, bei denen nicht nur das leuchtende Hellrot der erfolgreichen "Salto"-Reihe von verlegerischem Herzblut kündet. Angesichts der "größenfetischistischen" Konzentration in der Buchbranche begreift sich der Einzelkämpfer Wagenbach immer mehr als "Todgeweihter Dilettant", wie er im vergangenen Herbst bitter schrieb. Die Buchpreisbindung ist für ein Unternehmen seiner Größenordnung unverzichtbar. Das Geheimnis seines Erfolgs? Es liegt in der unbedingten Liebe zur Sache, wie er in der Herbstvorschau erklärt. "Wir nehmen uns Zeit. Für den Text, das Papier, die Typographie, für das Beschnüffeln und die haptischen Sensationen."

"Geschichte von der Ankunft des Großen Unordentlichen in einer ordentlichen Zeit"heißt ein ziemlich schlüpfriger Text von Günter Bruno Fuchs aus seiner Geschichtensammlung "Zwischen Kopf und Kragen". Klaus Wagenbach druckte sie, einem Wunsch des früh verstorbenen Freundes von der Rixdorfer Presse folgend, auf Packpapier und in der "Omaschrift" Cicero Garamond nach, die zum langsamen Lesen zwingt. In einem Nachwort, das viel über sein Berufsepos aussagt, erinnert er sich wie der "dicke Freund" im Sommer 1967 im ersten Verlagsdomizil in der Jenaerstraße seine Manuskripte und Grafiken auf dem Boden ausbreitete - "der Autor als Produzent und Hindernis". Wie wahr: Stromlinienförmigkeit erzeugt keine Kunst. Klaus Wagenbach wird heute in seiner Geburtsstadt Berlin siebzig Jahre alt. Das halbe Leben ist er nun Verleger. Dem Freigeist und pragmatischen Homo ludens einen Geburtstagssalto - herzlich und mit Trommelwirbel.

K. Hillgruber

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