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Kultur: Kleckern statt Klotzen

„Weniger ist Zukunft“: Die IBA Sachsen-Anhalt widmet sich der schrumpfenden Stadt

Köthen in Nöten. Die heitere Residenzstadt – kaum kriegszerstört, Bach hat hier das „Wohltemperierte Klavier“ komponiert und Samuel Hahnemann begründete die Homöopathie –, sie ist Schrumpfstadt. Der Maschinenbau ist weg, mit ihm gingen die Menschen, wie aus vielen Orten Sachsen-Anhalts, diesem Schrumpfland, dessen Bevölkerung immer weniger wird, immer älter und ärmer. Die Köthener Ludwigstraße: abgeschlagener Stuck, keine Sanierung, sozialer Brennpunkt, 14 abrissreife Häuser. Da hatten die Köthener die Idee mit der Homöopathie.

Erstverschlimmerung als stadtplanerische Methode. Eines Nachts schalteten die IBA-Leute die Straßenbeleuchtung ab und rückten die Abrisskandidaten in grelles Schweinwerferlicht. 15 Minuten, das reichte für den ersten Schreck. In lebhaften Bürgerversammlungen beschlossen die Nachbarn daraufhin, einige Häuser doch zu kaufen, jetzt gibt es hier Gärten, Neubauten, Umnutzungen – und für die IBA-Stadtplaner die Köthener Methode.

Die IBA Stadtumbau 2010, deren Finale am Donnerstag in Magdeburg eröffnet wurde, fragt nach der Gestaltung schrumpfender Städte in Sachsen-Anhalt. Ein breit angelegtes Experiment seit 2002: 19 Orte sind beteiligt, Bund und Land stehen mit der griffigen Formel vom „qualitativen Wachstum“ zur Seite und mit zeitgemäß sparsamen 140 Millionen Euro (die IBA Emscher Park 1999 hatte noch mehr als eine Milliarde).

Zwar ist es erfreulich, dass auch die Politik die klassische kapitalistische Wachstumsmaxime endlich infrage stellt, dennoch hat das IBA-Motto „Weniger ist Zukunft“ angesichts von 17 Prozent Bevölkerungsschwund in Sachsen-Anhalt seit der Wende, von 20 Prozent Leerstand, Industriebrachen, Schulschließungen, bröckelnden Fassaden wie bröckelnder Infrastruktur etwas Euphemistisches. Aber die Frage ist groß und zukunftsträchtig – und folgt der Themen-Tradition der Internationalen Bauausstellungen von der Interbau 1957 (Stadt der Moderne) über die Berliner IBA 1987 (behutsame Stadterneuerung) und die IBA Emscher Park (Wie weiter in einer postindustriellen Region?) bis zur IBA FürstPückler-Land, die gerade zu Ende geht und sich die Zukunft der Lausitzer Bergbauregion vorgenommen hat.

Stadtplanung in Zeiten des Leerstands, Kleckern statt Klotzen, Krise als Chance. Im Architekturstudium, sagt IBA-Projektentwicklerin Sonja Beeck, hat das keiner gelernt. Soll man von außen nach innen abreißen, also die Peripherie „rückbauen“, um den Stadtkern zu verdichten? Wie viel Grün verträgt ein Zentrum? Was tun in Halle: die Platte in Neustadt abreißen und das historische Halle weitersanieren? Und was ist das Ziel: die Stadt für Industrie und/oder Touristen attraktiver machen oder auf Dauer mit weniger Geld auskommen? Oder besser privates Engagement, privates Geld aktivieren?

19 Städte, 19 individuelle, mit den Bürgern erarbeitete Lösungen. Die IBA Sachsen-Anhalt verzichtet auf Stararchitekten und Leuchtturmprojekte, sie hat sich auf die Basis besonnen, auf kleine und mittlere Städte. Wanzleben setzt auf das Thema Familie, nach dem Motto: je weniger Bevölkerung, desto mehr Nachbarschaft, Eisleben auf Luther, Wittenberg auf die Wissenschaft, Köthen auf Homöopathie. Und Staßfurt entschied sich angesichts seines dramatischen Lochs in der Mitte (Opfer von Bodensenkungen) für einen See statt für die Rekonstruktion des historischen Zentrums.

Wer sich bei einer ersten IBA-Stippvisite in Dessau in der dortigen Überblicksausstellung und in der Stadt selber umschaut, der gewinnt jedoch den Eindruck, dass die Bauausstellung weniger eine Therapie gegen die Schrumpfkrankheit darstellt als eins ihrer Symptome. Zwar leuchtet das Beispiel Bernburg ein, wo die Konzentration der verbleibenden Bildungseinrichtungen ins Zentrum des Orts offenbar für Wiederbelebung sorgt. Aber kann Aschersleben sein Durchgangsstraßen- und Lärmproblem wirklich mit einer „Drive Thru Gallery“ lösen? Hat Staßfurt eine Zukunft, bloß weil sich der Himmel im Zentrum im Teich spiegeln kann?

Oder Dessau. Fürstenresidenz, Bauhausstadt, Weltkulturerbe, zersiedelt, mit Platte dazwischen. Die Kommune muss sparen, auf der Streichliste stehen Gelder für Museen, Theater, das Bauhaus. Wie soll man da die Leere kultivieren? Vom Dach des Räucherturms unweit des Bahngeländes lässt sich der mit roten Fähnchen markierte Radweg ausmachen, der sich durch die Stadt schlängelt. An diesem „Roten Faden“ entlang soll Dessau „verinseln“, nach behutsamem Rückbau von Grünflächen durchsetzt werden: IBA in der Tradition des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs. Keine Parks, sondern wilde Wiesen. Die Dessauer haben sich „Claims“ abgesteckt, 20 mal 20 Quadratmeter Grün: Hier testet die Hochschule Saatgut für nachwachsende Rohstoffe, dort pflegt eine Apothekerin einen Kräutergarten, auf Sandhügeln biken die Kids.

Alles schön und gut, aber das Dessauer IBA-Thema „Urbane Kerne – landschaftliche Zonen“ zielt an den eigentlichen Bauproblemen der Stadt vorbei. Da ist die Elefantenparade rund um das von den Nazis als Teil ihrer monströsen GauhauptstadtArchitektur errichtete Anhaltische Theater, mit Plattenriegel gegenüber sowie Shopping-Mall und Multiplexkino im gleichen überdimensionierten Maßstab. Da ist der feine Flachbau des Arbeitsamts von Walter Gropius, dessen Sichtachse zum Historischen Friedhof dahinter von einem Plattenhochhaus verstellt ist. Trotz IBA wurde das Hochhaus erst vor wenigen Jahren saniert. Und da ist, jüngstes Beispiel, das Dessau Center. Die im Mai 2009 eröffnete Mall, ein gesichtsloser Zweckbau, schiebt sich zwischen die barocke Georgenkirche und den historischen Backsteinturm des Naturkundemuseums. Gegen solche Investoren-Bausünden kann die IBA offenbar nichts ausrichten. Stattdessen gibt es im Stadtpark neuerdings interaktive Beleuchtung, Schachbretter und Spielplätze – und das Ganze heißt „interkultureller Generationenpark“.

Übrigens: Wer mit dem Auto nach Dessau kommt, der nimmt die IBA kaum wahr. Kein Hinweisschild, nichts. Manchmal ist weniger doch nicht Zukunft.

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