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Kultur: Kleist – und doch nicht Schluss

Ein Stiftungs-Aufruf zum Finale des Jubeljahres

Das Wetter muss wohl ähnlich herbstgolden gewesen sein vor 200 Jahren. Damals, am 21. November 1811, als neben der aus dem Wirtshaus zum „Krug“ ins Freie, auf eine nahe Anhöhe geschafften kleinen Tafel mit Kaffee und Rum gegen 16 Uhr plötzlich zwei Schüsse fielen.

Gestern war nun eine große Menschenschar zum neu gestalteten Grabhügel für Heinrich von Kleist und seine Begleiterin Henriette Vogel an den Kleinen Wannsee gekommen. Um den Grabstein, auf dem jetzt die Namen beider Freitodesgefährten (und nicht nur der des Dichters) stehen: kein Lorbeer. Aber rote und weiße Rosen mitsamt Schleifen vom anwesenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert und vom abwesenden Regierenden (Kultur-)Bürgermeister Klaus Wowereit. Und keine Reden. Allein Kleist hatte das Wort, indem der Schauspieler Ulrich Matthes sehr schön aus zwei letzten, an die Wunschkusine Marie und die Lieblingsschwester Ulrike geschriebenen Briefen las.

Kurz lebte da im euphorischen Verlöschen die Kleist’sche Emphase noch einmal auf. Henriette, die „Vogln“, wie er sie nannte, „deren Seele wie ein junger Adler fliegt“, und das eigene widersprüchliche Gemüt („meine ganze jauchzende Sorge“) dann, „am Morgen meines Todes“, der berühmte Satz, „dass mir auf Erden nicht zu helfen war“. Den hernach in der Grabesstille kurz ausbrechenden Beifall wehrte Matthes sogleich stilsicher ab.

So endet das Kleist-Jahr, und am gestrigen Todestag wurden Texte des unglücklich glücklich Verstorbenen an 140 Orten auf allen Kontinenten gelesen. In Kultur-Instituten, Schulen und Theatern. Es hat etwa 20 Kleist-Kongresse von Sydney über Nashville bis Bochum, Berlin und Venedig gegeben, geschätzte 2500 Einzelveranstaltungen weltweit, ein paar neue gute Biografien und einige schlechte neue Inszenierungen (beim rasend verunglückten „Kleist-Festival“ des Berliner Maxim Gorki Theaters). Kleist-Ausstellungen im Geburtsort Frankfurt/Oder und in Berlin haben rund 30 000 Besucher gefunden und sind noch weiterhin zu sehen. Und in Frankfurt erhält das längst zu kleine, hübsche barocke Kleist-Museum am Oder-Ufer einen modernen Erweiterungsbau, der 2013 eröffnet werden soll.

Damit über das hinaus für die Zukunft noch mehr bleibt vom allgemeinen Jubeljahr, hat der Literaturwissenschaftler Günter Blamberger als Präsident der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft gestern bei einer Feier im Berliner Literarischen Colloquium noch zur Neugründung einer Kleist-Stiftung aufgerufen. Vor 100 Jahren, zum damaligen Jubiläum, in Berlin von Hugo von Hofmannsthal, Walter Rathenau, Max Reinhardt und dem Verleger Samuel Fischer ins Leben gerufen, fand diese Liaison von Geist und Politik 1933 ihr Ende. Grund genug, das wieder zu ändern. Peter von Becker

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