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Kultur: Knaben an der Quelle

Die Villa Grisebach und Lempertz bauen ihre Führungsposition unter den deutschen Auktionshäusern weiter aus. Ein Gespräch mit Bernd Schultz über das Kunstmarktjahr 2005 in der Villa Grisebach

Herr Schultz, die Villa Grisebach blickt auf ein Erfolgsjahr zurück: 38 Millionen Euro sind der höchste Umsatz in der bisherigen Firmengeschichte. Was führte zu der Steigerung?

Entscheidend war, dass uns sehr viel bedeutende Kunst anvertraut wurde, und zwar weltweit: aus Amerika, der Schweiz, Österreich, Frankreich, England. Es kommt nicht nur viel aus diesen Ländern, sondern wird auch wieder dorthin verkauft. Insgesamt gehen bis zu 35 Prozent ins Ausland.

Sie haben 2005 erstmals eine Vorbesichtigung in New York organisiert. Welche Bedeutung haben die amerikanischen Sammler für den deutschen Markt?

Der Anteil der amerikanischen Interessenten steigt kontinuierlich. Trotzdem: Bei dem großen Schlemmer-Bild aus der November-Auktion waren die letzten Bieter zwei Berliner Unternehmer – am Ende wurde mit 783 500 Euro der höchste Preis erreicht, der bisher für eine Papierarbeit Schlemmers gezahlt worden ist.

Sind aus amerikanischer Perspektive die hiesigen Preise außerordentlich günstig?

Nicht unbedingt. Ich bin nicht sicher, ob Beckmanns „Anni“ in New York ebenfalls 3,4 Millionen Euro erzielt hätte. Nach unserer Auktion kamen Gratulationen und Äußerungen aus großen internationalen Häusern wie „Chapeau, dass hätten wir nicht geschafft.“

Warum haben gerade Sie es geschafft?

Wir haben einen entscheidenden Vorteil: Die Kunst, mit der wir vornehmlich handeln, ist in Europa entstanden. Dort ist sie auch zu finden. Wenn Sie so wollen: An der Quelle saß der Knabe.

Sie sind also schneller?

Mehr noch hat es mit dem über Jahrzehnte gewachsenen Vertrauen zu tun. Auf manche Bilder warten wir über 20 Jahre. Sie müssen immer am Ball bleiben, und wenn das Telefon nachts klingelt, am nächsten Morgen bereits im Flugzeug sitzen. Alle kennen das Spiel, und keiner schläft.

Sie ziehen mit dem Umsatz erstmals auch mit Ihrem Kölner Konkurrenten Lempertz gleich, der noch Altmeister, Kunsthandwerk und Asiatika mitrechnen kann und seine Bilanz ebenfalls verbessern konnte. Auch van Ham in Köln meldet Rekorde. Wie lange geht es noch weiter bergauf?

Der Markt ist momentan national und international sehr stark und zumindest in der Klassischen Moderne gesund.

Werden die Zeitgenossen überschätzt?

Ich bin sicher, dass der Expressionismus und die Kunst der Zwanziger immer noch kaufenswert sind. Inwieweit das im zeitgenössischen Segment gilt, vermag ich nicht zu sagen. Aber es gibt diesen schönen Satz: Der Markt hat immer Recht.

Ist es für ein Auktionshaus nicht verlockend, auf Gegenwartskunst zu setzen angesichts der enormen Nachfrage?

Es gibt eine ganze Menge Spekulationen auf diesem Sektor. Die Leute kaufen zu 99 Prozent mit den Ohren, zu 1 Prozent mit den Augen. Dennoch lassen wir den Markt nicht aus den Augen und prüfen sehr genau, was wir unseren Kunden anbieten. In der kommenden Auktion werden wir einige so bedeutende Gerhard-Richter-Bilder anbieten, wie sie in Deutschland wohl noch nicht versteigert worden sind. Diese Sorgfalt zahlt sich aus: Erstmals war in diesem Jahr das Angebot der Kunst nach 1945 in unserem Third-Floor-Katalog mit Schätzwerten bis 3000 Euro größer und umsatzstärker als das der Klassischen Moderne.

Sind Zeitgenossen nicht eine Investition in die Zukunft, weil das Angebot an Klassischer Moderne immer knapper wird?

Das sagt man uns schon seit 20 Jahren. Trotzdem ging es bisher ohne Qualitätseinbruch weiter. Das mag mit einer Verschiebung des Auktionsmarkts im deutschsprachigen Raum zu tun haben. Vor ein paar Jahren gab es noch die Hochburgen in München, Hamburg, Köln, Berlin, Wien, Bern und Zürich. Die Häuser, die im Moment sehr erfolgreich sind, Grisebach und Lempertz, haben eine Sogwirkung zu Lasten von vielen kleineren Traditionshäusern.

Glauben Sie, dass langfristig nur die Großen übrig bleiben?

Die kleineren Häuser haben eine Chance, wenn sie Nischen besetzten wie Quittenbaum mit Modernem Design oder Bassenge mit den Altmeistern.

Lempertz hat neue Räume in Berlin bezogen, in denen 2006 auch Auktionen stattfinden sollen …

Das finde ich wunderbar, sie sollen alle kommen! Je schneller, desto besser.

Das Gespräch führte Katrin Wittneven

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