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Kultur: Kochrezepte auf der Couch

Wer ewig nur kocht, statt auch fröhlich zu schmausen, hatte schon bei Goethe schlechte Karten. Wäre der Dichter auf Martha Klein getroffen, er hätte für seine Metapher, mit der er die ständig abwägenden Deutschen charakterisierte, neue Verwendung gefunden.

Wer ewig nur kocht, statt auch fröhlich zu schmausen, hatte schon bei Goethe schlechte Karten. Wäre der Dichter auf Martha Klein getroffen, er hätte für seine Metapher, mit der er die ständig abwägenden Deutschen charakterisierte, neue Verwendung gefunden. Eine konkrete, ausnahmsweise.

Martha ist Chefköchin in einem Hamburger Feinschmecker-Restaurant. Tatsächlich gilt der kunstvollen Zubereitung von Nahrung ihre ganze Leidenschaft; fürs Verzehren und andere soziale bis sinnliche Genüsse bleibt wenig übrig. Während Kellner und Küchenhilfen täglich vor der Arbeit in schmatzender und plappernder Runde beisammen sitzen, greift die Köchin statt zur Gabel lieber zu einem Buch. Emotional wird sie nur, wenn jemandem ihr Essen nicht schmeckt: Kulinarischen Banausen knallt sie schon mal ein blutig-rohes Steak samt Messer auf den weiß gedeckten Tisch. Weil das der Restaurantleiterin nicht ganz gesund erscheint, schickt sie Martha zu einem Therapeuten. Doch auch der kriegt kaum mehr aus ihr heraus als ihr Lieblingsrezept für geröstete Täubchen.

Mit einer der absurden Therapie-Szenen beginnt Sandra Nettelbecks Leinwanddebüt "Bella Martha". Rezepte rezitierend liegt die Köchin auf der Couch, mit sinnlicher Stimme zwar, doch eben auch mit dieser eigensinnigen Ausstrahlung: zwanghaft und ein wenig zickig. Martina Gedeck, die Lippen fest, die Augenbraue hochgezogen, gibt ihrer Martha anfangs die Anmutung von Isabelle Hupperts beziehungsgestörter "Klavierspielerin". Was sich von hier aus entfaltet, ist aber von der kalten Beobachtung einer hoffnungslosen Psychose mindestens so weit entfernt wie Hamburg von Wien.

Sicher hätte Nettelbeck die krankhafte Störung facettenreich aufdröseln können: Versorgersyndrome (Martha bekocht auch Männer lieber, als mit ihnen aus oder ins Bett zu gehen) werden oft durch das älteste Geschwisterkind geprägt, das sich Anerkennung vor allem durch Vernunft verdient. Doch Nettelbeck wollte schlicht einen Film über Essen und Liebe machen, wollte die Geschichte einer Meisterköchin erzählen, die die Liebe zum Genuss erst erlernen muss. Und genau das ist der Regisseurin mit wundersamer Leichtigkeit gelungen.

Damit ihre Heldin entdecken kann, was ihr fehlt, muss allerdings zuerst etwas sehr Trauriges passieren: Marthas Schwester verunglückt tödlich und lässt die achtjährige Lina (Maxime Foerste) allein zurück. Das elternlose Mädchen zieht vorübergehend bei Martha ein - und mit ihr ein melancholischer Unterton in den Film, der sich erst langsam auflöst. Irgendwann öffnet Martha, die mit Kindern eigentlich nichts anfangen kann, der Kleinen doch ihr Herz. Und bald auch dem italienischen Aushilfskoch Mario (Sergio Castellitto), der Martha mit seiner fröhlichen Art zunächst weder in die Küche noch in den Kram passte.

Ein Märchen mit dem ernstzunehmenden Subtext der Mutterwerdung: So etwas zu inszenieren, ist ein Drahtseilakt. Dass er geglückt ist, hat - neben der Besetzung und den ökonomischen wie präzisen Bildern von Michael Bertl - vor allem zwei Gründe: Die komödiantischen Elemente sind durchweg nicht platt, sondern charmant. Und die melancholische Seite, die schwierige Beziehung zu Lina, beschränkt sich auf das Nötigste. "Ich hasse dich, du bist nicht meine Mutter", knallt Lina ihrer Tante einmal an den Kopf - und eröffnet ihr dann entschuldigend, dass sie so unfair war, weil sie anfange, ihre tote Mutter zu vergessen. Das sind Sätze, die am Tränendrüsen-Prinzip nur deshalb knapp vorbeischrammen, weil hier der Wahrhaftigkeitskern des Klischees nahezu nackt dasteht - ausgereizt wird er nicht.

Sandra Nettelbeck hat in San Francisco Film studiert und dort das stringente Erzählen gelernt. Doch käme es nur darauf an, hätte sie "Bella Martha" auch im glatten Kalifornien-Stil inszenieren können. Das Liebenswerte ist eher jenem Mangel an Kalkül geschuldet, der für deutsche Erstlingsfilme typisch ist - man denke nur an "alaska.de" oder "Vergiss Amerika". Problematisch wird es meist erst, wenn beim zweiten Film der Markt Einzug hält in die Produktion. Viele Jungtalente landen dann bald beim Fernsehen. Bei Nettelbeck aber, die mit "Bella Martha" ein professionelles Kino-Debüt vorlegt, könnte es umgekehrt laufen: Fürs ZDF hat sie schon zwei erfolgreiche Filme gemacht.

Brigitte Böttcher

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