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Kultur: König der Indiskretion

Die Berlinische Galerie würdigt den Fotografen Erich Salomon, den ersten Chronisten des politischen Alltags

Zwei amerikanische Senatoren stecken die Köpfe zusammen. Es sind vertrauliche Worte, die der eine dem anderen über die Schulter zuraunt. Etwas, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, nicht einmal für den Dritten in dem Bild, das der Berliner Fotograf Erich Salomon 1932 aufnahm. Auch als der deutsche Außenminister Gustav Stresemann vier Jahre früher in einem Speisewagen den Ausführungen seines Gegenübers folgt, wissen wir nicht, worüber sie sprechen. Die Komplexität des politischen Alltags – im Brennglas einer Momentaufnahme. Die kleine Kamera in den Händen des Beobachters wurde durch Erich Salomon zur Waffe.

Wie scharf dieser Pionier der Bildreportage, der als einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts gilt, zielen konnte, zeigt nun eine umfangreiche Ausstellung der Berlinischen Galerie. Seit 25 Jahren beherbergt sie das Werk des 1944 nach Auschwitz verschleppten und dort ermordeten Mannes. Es ist zweifellos einer ihrer wertvollsten Schätze. Markiert doch Salomons Schaffen einen medienhistorischen Paradigmenwechsel, über dessen Folgen bis heute gestritten wird. Seit der Bankierssohn mit seiner Kleinbildkamera in die Innenräume von Gerichten, Parlamenten, Ausschüssen und Theater vordrang, um dort seine „candid photographs“, geheimen Schnappschüsse, zu machen, ist das politische Geschäft zum visuellen Ereignis geworden.

„,Da schläft ja einer’, sagte Dr. Stresemann zu mir, als ich ihm kürzlich einige Bilder von einer Sitzung zeigte. ,Wissen Sie’, fuhr er fort, ,seitdem Sie da sind, ist es wirklich grässlich, da traut man sich gar nichts mehr.’“ So schilderte Salomon selbst die Wirkung seiner Reportagen über Staatskonferenzen und Völkerbundtreffen, in die er sich Ende der Zwanzigerjahre in vollkommener Mimikry einzuschleichen begann. „Mit Frack und Linse durch Politik und Gesellschaft“ ist denn auch die Salomon-Schau übertitelt. Sie zeigt einen Politpaparazzi der ersten Stunde, den „König der Indiskretion“, wie ihn Aristide Briand nannte. Denn seine Fotos aus den inneren Zirkeln der Macht umgab ein gewisser Kitzel des Sensationellen. Ob er nun das begriffsstutzige Bullengesicht Mussolinis festhielt, den Hintern einer deutschen Abgeordneten oder das amüsierte Schmunzeln von Hans Delbrück, dem ein Witz erzählt wird, solche Einblicke in die Führungsetagen machten erstmals durchschaubar, was sonst im Verborgenen blieb: Weltpolitik ist auch nur eine Frage des menschlichen Umgangs.

Erich Salomon, am 28. April 1886 in Berlin geboren, fand erst spät zu seiner Berufung. Ein Ingenieursstudium brach er ab. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete er sein Jurastudium, wurde einberufen und geriet während der Marne-Schlacht in französische Gefangenschaft. 1917 erlitt er einen Nervenzusammenbruch und wurde ausgetauscht.

Nach dem Krieg war sein Familienvermögen zusammengeschmolzen, so dass er sich als Börsenmakler und Taxi-Unternehmer durchschlagen musste. Schließlich kam er in der Werbeabteilung des Ullstein-Verlags unter. Erst jetzt kaufte er sich eine jener revolutionären Kleinbildkameras der Ernemann-Werke, die Innenaufnahmen selbst ohne Blitz möglich machten. Salomon war so verwegen, das Potenzial seiner Ermanox an Orten auszuprobieren, die für Fotografen gewöhnlich nicht zugänglich waren: in Gerichtssälen, bei Delegationsempfängen.

Der Schockeffekt hielt nicht lange an: Die Politiker begriffen schnell, dass ihr Ansehen in der Öffentlichkeit in Zukunft von Entlarvungskünstlern wie Salomon geprägt werden würde – und sie stellten sich darauf ein. Briand, mit dem Salomon beinahe freundschaftlich verbunden war, sagte denn auch: „Zu einer Völkerbundskonferenz benötigt man dreierlei: ein paar Außenminister, einen Tisch und Salomon.“ Der hielt, ohne es zu wissen, die letzten Tage einer untergehenden bürgerlichen Elite fest. Als die Nationalsozialisten 1930 in ihren Parteiuniformen in den Reichstag einzogen, erlebte Salomon das aus nächster Nähe mit. Aber das Demagogische dieser Selbstinszenierung entzog sich seinem Zugriff. Er schien nicht dafür gerüstet, dass die politische Bühne bald von Medienstars wie Hitler und Goebbels beherrscht werden würde. Die konnte er nicht enttarnen.

Hitlers Machtergreifung überraschte Salomon bei einem Besuch der Schwiegereltern in den Niederlanden. Als die deutschen Truppen 1940 einmarschierten, hatte der Chronist der Mächtigen nichteinmal mehr die Möglichkeit zu fliehen.

Berlinische Galerie (Alte Jakobstr. 124-128, Kreuzberg), bis 10. März, tgl. 12–20 Uhr, So 10–18 Uhr. Katalog: 24 €.

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