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Kultur: König Marke Der Komponist als

Genie der Eigenwerbung.

„Keiner wie er so hold zu werben weiß.“ Wagner-Kenner haben bei diesen Worten sofort die Festwiese der „Meistersinger von Nürnberg“ vor Augen, auf der Walther von Stolzing sich gerade mit einem Tenorhit die Hand seiner angebeteten Eva gesichert hat. Nicholas Vazsonyi dagegen denkt dabei auch an den Komponisten selbst, dessen genialisch ausgeprägten Sinn für Eigenwerbung er in seinem Buch „Richard Wagner. Die Entstehung einer Marke“ beschreibt. Der Erfinder der Zukunftsmusik, so Vazsonyis These, wusste sich zu vermarkten wie keiner vor ihm: ein PR-Pionier, der sich zur Markteinführung seiner Produkte konsequent moderner Massenmedien bediente.

Aus jedem denkbaren Blickwinkel ist Wagner betrachtet worden, sogar aus dem seiner Hunde. Juristen und Psychologen haben die Libretti durchgearbeitet. Aber den Versuch, die Geburt der Wagner-Industrie aus dem Unternehmergeist ihres Schöpfers zu erklären, hat noch kein Exeget unternommen. Nicholas Vazsonyi, Professor für deutsche Literatur an der University of South Carolina, zeigt leicht nachvollziehbar, wie Wagner für sich warb. Als sich etwa 1846 in Dresden Widerstand gegen seinen Plan regte, Beethovens als schwer zugänglich verschriene Neunte Sinfonie aufzuführen, platzierte er vier Annoncen in der Zeitung, die als private Mitteilungen eines anonymen Enthusiasten verfasst waren. So gelang es ihm tatsächlich, Neugier beim Publikum zu wecken, das unbedingt bei diesem außergewöhnlichen Event dabei sein wollte.

Ähnlich verfährt Wagner im Schweizer Exil, wenn er versucht, seine Zielgruppe auf die neuartigen, noch unaufgeführten Musikdramen einzuschwören: „Wagners Schriften aus dieser Zeit zeugen von einem entschlossenen Bemühen, seine Kompositionen mit einem Markenkonzept zu versehen“, schreibt Vazsonyi, „und sich im Zuge dessen eine spezielle Nische innerhalb der Musik- und Theaterwelt zu schaffen.“ Parallel dazu überschwemmen Wagner-Anhänger von Liszt bis Baudelaire die Presse mit Lobartikeln, in nie dagewesener Parteilichkeit schlägt sich zudem die „Allgemeine Deutsche Musikzeitung“ auf die Seite des revolutionären Gesamtkunstwerkers.

Dass Wagner auch mit seiner Musik selbst auf Kundenbindung aus ist, erkannte schon Adorno: „Unter den Funktionen des Leitmotivs findet sich eine warenhafte, der Reklame ähnliche: die Musik ist, wie später in der Massenkultur allgemein, auf Behaltenwerden angelegt, vorweg für Vergessliche gedacht.“ Dazu passt, dass zu den ersten Festspielen Hans von Wolzogens „Thematischer Leitfaden“ für den „Ring des Nibelungen“ erschien, ein „musikalischer Baedecker“ (Hanslick), der zum Bestseller wurde. Wagner selber versorgte vor dem Festivalstart 180 Redaktionen mit Pressemitteilungen: eine aggressive Kampagne, bei der für jedes Ressort etwas dabei war: Berichte über die Ankunft der Künstler, den Stand der Proben, die zur Premiere erwartete Prominenz.

Besonders lesenswert ist Vazsonyis Studie dort, wo er en detail in die Opernanalyse einsteigt, etwa in die der „Meistersinger“. Beckmesser muss mit seinem Preislied scheitern, weil es nicht authentisch ist. Er stiehlt Sachs’ Text und singt ihn zur eigenen Melodie. Damit verstößt er gegen die Meisterregel, dass Wort und Ton aus einer Hand kommen müssen. Das Publikum auf der Festwiese erkennt den Verrat an der echten Kunst intuitiv, während es Walther von Stolzing und sein innovatives Singer-Songwriter-Produkt bejubelt. Wie Beckmesser handelten in Wagners Augen auch die französischen und italienischen Konkurrenten, wenn sie sich für ihre Opern Verse von Librettisten schmieden ließen. Diese Arbeitsteilung musste zu kommerziellen, allein auf die Unterhaltung Gelangweilter zielenden Produkten werden. In diesem Sinne ist für Vazsonyi Sachs’ Tadel des „wälschen Tand“ zu lesen: nicht als Chauvinismus, sondern als Ausdruck einer geistigen Haltung. Die deckt sich mit der Wagners: Wahre Kunst kann nur entstehen, wo der Kreative bei sich ist, wo das Neue auf dem Fundament der Tradition erwächst – im Musikdrama made in Germany. Frederik Hanssen

Nicholas Vazsonyi: Richard Wagner. Die Entstehung einer Marke. Aus dem Engl. von Michael Halfbrodt, Königshausen & Neumann, Würzburg 2013, 239 S., 39,80 €

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