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Kultur: Kohl im Berliner Wahlkampf: Nur nach seinem Willen

Er war nie unscheinbar. Er war immer da.

Er war nie unscheinbar. Er war immer da. Im Bundestag, hoch aufragend, massig, ein Monument seiner selbst, unübersehbar auch in der vorletzten Reihe. Und wie sie vor ihm gekniet haben! Wen er rief, der kam: Die alten Freunde von früher, die Paladine seines Hofstaats, Friedrich Bohl oder Anton Pfeifer, aber auch die anderen, die jungen. Für sie ist er heute eine historische Größe, ein Denkmal. Und wenn Helmut Kohl heute anruft, eines seiner legendären Telefonate führt, wenn er Frank Steffel anruft wie Bill Clinton - kann Steffel dann nein sagen? Kann er ein Treffen ablehnen?

Zum Thema Online Spezial: Machtwechsel in Berlin Selbstverständlich haben sie sich getroffen, der Alte und der Junge aus Reinickendorf. Die Szenerie ist wie damals, wie in Bonn. Ein Gespräch beim Italiener, und der Altkanzler redet. Wie er die Lage sieht, was zu geschehen hat. Was Steffel zu tun hat. Warum sollte es sich auch ändern? Warum sollte er sich ändern, er, Kohl, der "Kanzler der Einheit", dem sie in seiner CDU Kränze geflochten haben. Der länger im Amt war als Adenauer, über den er demnächst in New York reden wird. Bevor er sich dann mit Bill Clinton trifft.

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Kohl sagt, er habe keine Strippen gezogen. Er hat es empört von sich gewiesen, und dafür hat er sich vor der Unionsfraktion sogar wieder mit Journalisten abgegeben. Vielleicht hat er sogar nicht einmal Unrecht - weil der Begriff nicht zu ihm passt, nicht mehr. Er ist nicht mehr der Parteichef, an dessen Strippen alles, aber auch alles hängt. Das hat sich verändert seit der Niederlage 1998. So viel Befreiung durch die Zeit Wolfgang Schäubles im Vorsitz ist geblieben.

Nein, nicht Strippen hat er gezogen - er hat wieder Fäden zu knüpfen versucht. Er hatte immer ein Netz, mit langfristigen Verbindungen. Jetzt möchte Kohl das Gestrige, die alten Gestalten, wieder mit den neuen Figuren verbinden.

Er will wieder mitmischen, "massiv", wie er sagt. Das ist, wie er ist. Kohl kann nicht anders, nicht nach diesen Jahrzehnten: Er war Rekordkanzler, ist Rekordhalter im Parteivorsitz und Meister im Machterhalt. Wie sagt er selber? "Wer mich kennt, weiß, dass ich Umgang mit der Macht gelernt habe und dass ich etwas davon verstehe." Das wird sich auch dem jungen Frank Steffel mitgeteilt haben, ganz ohne Worte. Und das teilt sich gerade wieder mit. Auch Wolfgang Schäuble. Der kennt Kohl. Und weiß besonders gut, wie der Macht versteht.

Die beiden sind schicksalhaft miteinander verbunden, obwohl sie inzwischen Gräben trennen. Kohl hat Steffel gesagt, er soll es machen - und sagt damit, Schäuble soll es nicht machen. Ob er es "dem Wolfgang", an dessen Krankenbett er nach dem Attentat geweint haben will, auch gesagt hat? Sie sollen sich jetzt getroffen haben, heißt es: Schäuble soll sich zu Kohl begeben haben! In sein Büro, wie früher; in das Büro, das fast genauso eingerichtet ist wie früher. Kohl dementiert. Schäuble lässt dementieren - so viel Distanz muss sein.

Aus der Distanz

Das ist eine Vorstellung: Der Kanzler der Einheit und ihr Architekt, für Berlin wieder vereint zum historischen Kampf gegen "rotlackierte Faschisten", wie früher Kurt Schumacher die SED genannt hat und Kohl die PDS heute nennt. Aber diese Vorstellung gibt es nicht. Denn sie berücksichtigt nur die politische Dimension des Kampfes. Die hat Kohl sofort verstanden. Die menschliche ist tragisch. Kohls Selbstbild ist doch nicht anders geworden. Er sieht sich als menschlich an. Er ist ja gefühlig. Schäuble aber schaut ihn nicht einmal mehr an aus der Distanz. Das ist gut zu beobachten, wenn der frühere Kanzler den früheren "Innenkanzler" trifft. Es sind keine Treffen - es sind Begegnungen. Der Händedruck ist kein Friedensschluss.

"Ich sitze hier noch ganz lebendig." Das ist ein Satz aus der Zeit, als Helmut Kohl noch auf dem Weg zum Denkmal war, damals in Bonn, im vorigen Jahrhundert. "Ich will nicht schon zu Lebzeiten auf ein Denkmalpodest." Heute sitzt er hier in Berlin, zwei Jahre ohne Amt, mit dem Wunsch nach Rückkehr: in die alte Zeit, als sein Wort mehr als alles andere galt.

Die Partei war ja doch immer mehr als Heimat für ihn, sie ist sein Leben. Ihr Kampf war immer seiner, und seiner war ihrer. Er hat sich der Partei angeboten, vor der Wahl in Rheinland-Pfalz, seiner Heimat, und nun in Berlin. Er will mit ihr kämpfen - und versteht nicht, was das bedeutet: dass er dann im doppelten Sinn mit ihr kämpft. Er, Helmut Kohl, der wie keiner ihr Gestern verkörpert, im Guten wie im Schlechten.

Da ist er! Vor der Unionsfraktion, im Scheinwerferlicht, wirft er einen ausladenden Schatten. Entfernt steht Friedrich Merz, Schäubles Nachfolger, und sagt in Richtung Kohl: "Die Partei ist für jede Form der Unterstützung dankbar." Wie Merz die Worte setzt, klingen sie traurig nach Demontage.

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