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Kolumne "Ausgehen": Vergesst mich!

Gelegentlich betrinkt man sich als junger, bedeutungsloser Mensch in dieser Stadt über Niveau - in Kreisen, in die man eigentlich nicht gehört. Das scheint zunächst schmeichelhaft, eine Chance gar. In Wahrheit kann so ein Abend nur unangenehm aus dem Ruder laufen.

„Wie lange ging’s denn noch?“, frage ich T., und T. sagt: „Sind wir nicht gemeinsam um 5.30 Uhr nach Hause?“ Und ich sage: „Ich war meines Wissens schon zwei Stunden früher weg.“ Und T. sagt: „Oh!“ Und ich weiß, was er sich nun fragt: Was war da noch? Habe ich mich danebenbenommen? Dabei habe doch eigentlich ich ihn angerufen, um mich zu vergewissern: dass ich nicht zu sehr aus der Rolle gefallen bin.

Als junger, bedeutungsloser Mensch säuft man in dieser Stadt gelegentlich über Niveau. Ständig gibt es Empfänge, die neben ihren honorigen und prominenten Gästen noch jugendliches Füllmaterial brauchen, und schwupps, schon reicht ein mittlerweile auch schon ein paar Jahre zurückliegendes Praktikum, um sich beim Sommerfest eines großen Magazins zwischen Politikern und Stars der Medienbranche tummeln zu dürfen.

Wobei – was heißt „tummeln“? Noch am Abend selbst skizzieren T. und ich den typischen Verlauf eines solchen – der mit der zeitlupenhaften Zwangsläufigkeit eines Auffahrunfalls bei Glatteis dann auch folgt: Zunächst klammert man sich an die einzige Person, die man näher kennt – in diesem Fall also: T. an mich, ich an T. Und an viele Biere – es ist ja alles gratis, außerdem gilt es, sich die Situation schön zu saufen, in der die großen Verträge, die fetten Exklusivgeschichten nur eine Gesprächsgruppe und einen entscheidenden Mangel an Dreistigkeit entfernt sind.

Zum Ende, nach zwölf Bier und drei Gin & Tonic, fehlt genau der nicht mehr. Weitere zehn Stunden später folgt das Erwachen, das „Oje!“, die versuchte Rekonstruktion, schließlich: der Anruf bei T.

Warum man das erzählen muss? Um ein bisschen anzugeben, klar. Vor allem aber, weil man selbst immer glaubt, man sei – gemeinsam vielleicht mit T. – der einzige in dieser kontrollierten und selbstsicheren Stadt, der derartige Situationen einfach nicht meistert. Darum hier einmal an alle, die auch schon mal unter interessierten Entscheiderblicken einen vollgestellten Stehtisch umgerempelt haben: Ihr seid nicht allein! Und – das ist in diesem Fall einmal tröstlich: Wir sind alle unwichtig genug, um gnädig vergessen zu werden.

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