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n unten nach links außen, dann folgt der Aufstieg und die Drift nach rechts: Auf einer Wählscheibe die Null zu wählen, das ist wie ein ganzes Leben.

© dpa

Kolumne "Wählen", Folge 1: Die Wählscheibe

Noch sieben Tage: Der Countdown läuft - und wir wählen schon mal: Begriffe und Dinge, die dem Ereignis Bundestagswahl auf eigene Weise näherkommen. Wie dieser fast vergessene Mechanismus, der für das Leben einer ganzen Generation steht.

Wie war das noch mal mit der Null? Richtig, unten rechts. Man stecke den Zeigefinger in das Loch und ziehe sodann durch, von der Null bis zum Anschlag. Fast wie im Leben: erst ganz unten ansetzen, dann schwungvoll jugendlich nach links außen und nach einigem biografischen Aufstieg nach rechts, bis es nicht mehr weitergeht. Und damit die Wendemarken nicht gar zu eckig ausfallen, funktioniert der Nummernschalter rundweg im Uhrzeigersinn.

Nummernschalter? Nun, so heißt das Gerät, mit dem seit seiner Patentierung im Jahr 1913 jahrzehntelang ein so populäres wie kompliziertes Wahlsystem zur Anwendung kam. Sein fürs menschliche Auge sichtbare Element: die Fingerlochscheibe, landläufig auch Wählscheibe genannt. Mittels dieser entschieden sich in alter Zeit alltäglich Millionen Telefonierwillige für das sogenannte Impulswahlverfahren. Spontan oder vorsätzlich – und in ihrer erdrückenden Mehrheit ohne das Wissen darum, dass ihnen beim Wählen unter anderem eine Schneckenwelle, die Bremstrommel sowie sogar ein Stromstoßrad behilflich waren.

Wo ist es hin - das Ruckern und Tuckern im Ohr?

Die Wählscheibe ist seit dem Siegeszug des Tastentelefons zwar ebenso im Wörtermuseum gelandet wie Farbband, Bleisatz oder Kugelkopf. Gewählt aber wird noch immer. Nur dass es heute genügt, statt nach rechts unten, wo die Null, oder links, wo die Sechs war, stracks nach vorn zu schauen: aufs Display des schnurlosen häuslichen oder gar mobilen Telefons. Ein Tastendruck, und das Ding wählt an meiner Statt. Ein Brummton, und los geht’s, sobald ich es ans Ohr halte. Und künftig, jede Wette, wird es genügen, bloß an jemanden zu denken – und schon weiß das Ding, wen es wählen soll.

Wo nur ist das feine Hinsurren und Rückschnurren der Wählscheibe geblieben und wo das Ruckern und Tuckern im Ohr? Wie wundersam auch konnte man sich verzetteln beim ferngesprächigen Zifferndutzendkratzen oder auch, das Herz bis zum Halse klopfend, auf halber Strecke zur Auserwählten hin? Diskret regelte das schlussendliche Nichtwählen bei Bedarf der Fliehkraftregler, nirgends nötigte einen wer zur Instantwahlentscheidung, aber hallo, tack und zack.

Vorbei, vorbei wie Stoßstange und Schiefertafel, Tanztee oder Telegramm. Und das Fräulein vom Amt, das der Wählscheibe voraustänzelte, hieß später NSA. Ganz recht, der Nummern-Schalter-Arbeitskontakt sorgt laut Wikipedia dafür, dass die „Wählimpulse (Knacken) nicht in den Handapparat gelangen“, sondern via Nummern-Schalter-Impuls-Kontakt (NSI) und Nummern-Schalter-Reduzier-Kontakt (NSR) nach draußen, ins System. Heutzutage? Nicht doch, zu fortgeschrittenen Wählscheibenzeiten. Ach so, dachte schon, ich hätte mich verwählt.

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