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Der ewige Kanzler: Helmut Kohl 1982 mit Hans-Dietrich Genscher.

© Heinrich Sanden/dpa

Kolumne "Wählen", Folge 2: Die Seitenwahl

Noch fünf Tage: Der Countdown läuft. Wir wählen schon mal – Begriffe, die dem Ereignis Bundestagswahl auf eigene Weise näherkommen. In dieser Folge geht es um Kindheitsprägungen - und darum, was Helmut Kohl mit Bayern München verbindet.

Im Sport ist es einfach: Der Zufall entscheidet. „Die Platzwahl erfolgt durch Auslosung per Münzwurf“, heißt es im Regelwerk des Deutschen Fußball-Bundes zu „Beginn und Fortsetzung des Spiels“. „Der Gastspielführer wählt die Seite der Münze aus; der Gewinner der Auslosung wählt die Spielhälfte aus; die andere Mannschaft führt den Anstoß aus.“ Links oder rechts – in welche Richtung ein Spieler stürmt, das hängt allein davon ab, mit welcher Seite nach oben eine Münze auf der Hand des Schiedsrichters landet: Kopf oder Zahl?

In der Politik scheinen die Dinge etwas komplizierter zu sein. Links oder rechts – wo er sein Kreuz setzt, das liegt in der Wahlfreiheit jedes Bürgers in der Wahlkabine. Doch wirklich frei ist der Wille wohl nicht. Ausschlaggebende Faktoren sind vielmehr – soziologischen Untersuchungen zufolge – Milieuherkunft, Alter und Einkommen. Kopf oder Zahl: Entscheidet sich der Wähler für die Partei, die er wegen ihrer Umwelt- und Energiepolitik am überzeugendsten findet, oder für die, die ihm den höchsten Steuernachlass verspricht? Der Idealismus ist am größten, so lange das Portemonnaie leer ist. Dabei hatte schon Pete Seeger gefordert, dass purer Materialismus niemals siegen dürfe, und gefragt: „Which Side Are You On?“. Es geht um das große Entweder/Oder, um Solidarität oder Unterwerfung: „You’ll either be a union man or a thug.“ Entweder man ist Genosse – oder Gangster.

Was entscheidet darüber, auf welcher Seite wir stehen: Kopf oder Zahl? Oft ist es das Herz. Ich zum Beispiel habe mich noch nie gefreut, wenn Bayern München Meister geworden ist. Und ich werde mich niemals freuen, wenn die CDU/CSU eine Wahl gewinnt. Das eine wie das andere folgt weder einer rationalen Abwägung noch irgendeiner Kosten/NutzenAnalyse. Beides hat mit früher Prägung zu tun. Weil ich in Ostwestfalen aufwuchs, ist meine Mannschaft der DSC Arminia Bielefeld. Weil ich 17 war, als Helmut Kohl nach einem konstruktiven Misstrauensvotum Bundeskanzler wurde, hatte ich das Gefühl, um meine erste Wahl betrogen worden zu sein. Anschließend war meine Stimme 16 Jahre lang wertlos, denn der dicke Mann, den ich peinlich und provinziell fand, wurde immer wieder gewählt.

Ich hatte mich für die Seite der Verlierer entschieden, das war mit Arminia Bielefeld genauso, einer Mannschaft, der es nur selten gelang, zwei Spielzeiten in der Ersten Liga zu bleiben. Aber ich weiß noch genau, wer die Tore schoss, als Arminia 1979 in München die Bayern mit 4:0 schlug: Graul, zwei Mal Eilenfeldt und Helmut Schröder. Ein Triumph für die Ewigkeit. Dass Bielefeld am Ende der Saison abstieg – egal. Bayern München ist der erfolgreichste deutsche Fußballklub, und es mag durchaus sein, dass die jetzige Bundesregierung – wie Angela Merkel behauptet – die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung ist. Doch ihre Siege langweilen mich. Ich habe da keine Wahl.

Bisher erschienen: die Wählscheibe (16. September).

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