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Komische Oper: Also brach Zarathustra

Petting statt Pershing: Die Komische Oper wagt sich an Händels „Orlando“.

Ein Wort an alle Premierenbesucher: Bitte glauben Sie nicht, dass „Orlando“ ein schlechtes Stück ist. Denn auch wenn hier vielleicht die Abgründe der menschlichen Seele nicht so offen zutage liegen wie in „Alcina“ oder „Ariodante“, hat Georg Friedrich Händel hier keineswegs nur die Barockopernstrickmaschine angeworfen. Auch das Libretto ist weit mehr als nur ein müder Aufguss der schon vorher x-mal veroperten alten Kamelle vom rasenden Roland. Nein, natürlich ist der 1733 in London uraufgeführte „Orlando“ ein gutes Stück – nur eben kein einfaches, dem man blind vertrauen darf. Sondern eines, das erst durch den doppelten Boden reizvoll wird, der unter der Oberfläche der Opera seria verborgen ist.

Ist etwa die Schäferin Dorinda, in deren Einsiedelei das Liebespaar Angelica und Medoro Zuflucht gefunden haben, wirklich so unglaublich naiv, wie uns das Libretto versichert? Oder spielt hier jemand Unschuld und versucht mit dieser Masche, potenzielle Sexualpartner zu umgarnen? Ihr Nachtigallengezwitscher mit seinen gezierten Lockrufen hätte jedenfalls durchaus erotisches Potenzial. Und was ist eigentlich mit dem mysteriösen Strippenzieher namens Zarathustra, der sich mit seinen nahezu unsingbaren Koloraturarien aufbläst, aber ansonsten nur dazu da zu sein scheint, die Handlung erst in Gang zu bringen und dann recht willkürlich wieder zu einem guten Ende hin zu bugsieren? Macht sich da am Ende die Oper über sich selbst und ihre legendären Unwahrscheinlichkeiten lustig?

Händels „Orlando“, der so ziemlich alle Standards der Barockoper durchhechelt, gäbe mithin durchaus Stoff für eine Parodie des eigenen Opernschaffens und wäre damit keine schlechte Antwort auf die Ulk-Produktionen gewesen, die dem Komponisten damals das Wasser abzugraben drohten. Oder auch für eine Gesellschaftssatire, in der der Ritter Orlando von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert und nur rasend wird, weil er nirgendwo landen kann. Und am besten wäre es natürlich, wenn eine Produktion all dies deutlich machen und das Stück zugleich auf dem schmalen Grat zwischen Trieb und Liebe, zwischen Konvention und echten Gefühlen entlangbalancieren könnte. Wenn ein Abend entstünde, der jeden Augenblick von einem ins andere kippen könnte, in dem Orlandos außerplanmäßige Aktionen auf einmal alles infrage stellen – der unstandesgemäße Heiratsantrag, den der liebessuchende Ritter der Schäferin Dorinda macht, ist dafür ein gutes Beispiel.

Es ist nötig, dies alles vorauszuschicken, weil man in der Produktion der Komischen Oper leider gar nichts davon mitbekommt. Erstaunlicherweise, denn gerade die Händelopern waren hier in den letzten Jahren immer eine sichere Bank: Mit „Tamerlano“ und „Alcina“ und zuletzt mit „Orest“ und „Theseus“ hatte das Haus erfolgreich an seine zu DDR-Zeiten begründete Tradition von RegietheaterHändel auf musikalisch hohem Niveau anknüpfen können. Eigentlich also durfte man hier von einem Fingerspitzengefühl auch für vertracktere Stücke wie den „Orlando“ ausgehen. Doch das Zwischentief, das sich schon vor einem Monat in der verunglückten Premiere von Donizettis „Don Pasquale“ bemerkbar gemacht hatte, lastet auch auf dieser Produktion. Sei es, dass Noch-Intendant Andreas Homoki schon mit den Planungen für seinen nächsten Posten in Zürich vollauf beschäftigt ist, sei es, dass dem Haus im Moment einfach die Puste ausgegangen ist – der Schauspielregisseur und Operndebütant Alexander Mörk-Eidem hatte offenbar niemanden zur Seite, der ihm in Sachen Händel auf die Sprünge geholfen hätte.

Irgendwie schwante dem Norweger zwar wohl, dass „Orlando“ auch eine komische Dimension hat. Eine hinzuerfundene „Assistentin“ des Oberhippies Zarathustra mit Glatze und fliederfarbenem Damenkostüm stakst als Marthaler-Referenz schon zur Ouvertüre über die Bühne. Ein leider folgenloser Auftakt, denn mit der Geschichte selbst fängt Mörk-Eidem nicht viel an: Das Hippiepärchen Angelica (Brigitte Geller) und Medoro, das im Campingwagen Dorindas kuschelt, Orlando, der sinnlos rumballert und sich irgendwann natürlich auch selbst eine Kugel durch den Kopf schießt, Dorinda und der an seiner Wasserpfeife nuckelnde Zarathustra (Wolf Matthias Friedrich) – sie alle bleiben blass, weil die Geschichte, die Mörk-Eidem erzählt, den Aufwand einer ganzen Oper nicht wert scheint. Der patenten Frau, die eben noch in ihrer Handtasche kramte, glaubt man die plötzliche Verwandlung zur amoklaufenden Partisanin einfach nicht. Selbst die furiose Wahnsinnsszene bleibt im unbestimmten Raum zwischen echtem und gespieltem Affekt hängen, auch weil die Chilenin Mariselle Martinez weder schneidende Dringlichkeit noch kunstfertige Pose vermitteln kann, sondern das Bravourstück nur recht ordentlich singt.

Einen Vorwurf kann man ihr allerdings nicht machen: Mit ihrem dunklen, sehr weiblichen Mezzosopran ist Martinez letztlich eine Fehlbesetzung – ebenso wie Elisabeth Starzingers unsicherer Medoro. Hier hätte es einfach Countertenöre gebraucht, denn auch, wenn Genderfragen im Hippiemilieu vielleicht zweitrangig sind, trägt die Besetzung mit Frauenrollen zur Verwischung der Charaktere bei. Und was steht schließlich besser für sexuelle Ambiguität als eine falsettierende Männerstimme. Gleichviel – zumindest schafft es an diesem Abend nur Julia Giebels zartfühlende Dorinda, für ihre Figur überhaupt Interesse zu wecken. Die Handvoll falscher Töne in der Premiere seien dem neuen Ensemblemitglied des Hauses dafür gerne verziehen.

Erstaunlich aber auch, dass Alessandro de Marchi mit dem müde klingenden Orchester an diesem Abend nichts Besseres zustande bekommt als robusten Stadttheater-Händel. Denn eigentlich kann er es doch – um wie viel packender hatte de Marchi zuletzt an der Komischen Oper Händels „Theseus“ dirigiert? Aber von Doppelbödigkeit und Finesse, von einer Spannung zwischen Pose, gewollter Künstlichkeit und starkem Affekt kann auch bei ihm keine Rede sein. Vergessen wir den Abend einfach und glauben lieber weiter an das Stück.

Wieder am 7., 13., 18. und 27. März.

Jörg Königsdorf

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