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Kultur: Komische Oper im Turm

"Dieser jüdische Eigensinn!" Richard Strauss ist zu sehr in seinem Kunstegoismus befangen, um zu fassen, daß der nach Hofmannsthals Tod endlich gefundene "rasseverfolgte" Librettist Stefan Zweig nicht länger für ihn arbeiten kann.

"Dieser jüdische Eigensinn!" Richard Strauss ist zu sehr in seinem Kunstegoismus befangen, um zu fassen, daß der nach Hofmannsthals Tod endlich gefundene "rasseverfolgte" Librettist Stefan Zweig nicht länger für ihn arbeiten kann.Keine noch so gelungene Auslegung der "Schweigsamen Frau" ist imstande, die tragisch überschattete Geschichte ihrer Uraufführung wegzuwischen.Das weiß nicht zuletzt der Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli, der das Werk einer "Welt von gestern" jetzt an der Sächsischen Staatsoper, in Koproduktion mit der Wiener Staatsoper, neu präsentiert - ein starker Publikumserfolg.

Dresden, Ort der Uraufführung 1935, Hitler kommt nicht, Strauss setzt durch, daß der Name des Dichters Stefan Zweig, eines längst Geächteten, auf dem Theaterzettel steht.Die Aufführung wird bald verboten.Die Verbeugungen des Komponisten vor dem Regime einerseits, Angst um seine "jüdisch versippten Enkel" andererseits verwirren sich in dem traurigen Kapitel aus der Zeit um diese "Komische Oper".Solidaritätsgefühl und österreichische Geistigkeit verbieten es dem Dichter, vor den Nazis verborgen mit Strauss auf dessen Vorschlag für den Safe und die Zukunft weiterzuarbeiten: "Ein Richard Strauss darf sich jedes Recht öffentlich nehmen und nichts heimlich tun, niemand soll sagen dürfen, Sie hätten eine Verantwortung gescheut ..." "Sacro egoismo des Künstlers", schreibt Stefan Zweig später im Exil, und "seine neue Oper war durch mich belastet".Der schwermütige Dichter kann mit alledem nicht mehr leben.

Strauss kehrt sich vom Tagesgeschehen ab, als "Die schweigsame Frau" Gestalt annimmt: Komische Oper im Elfenbeinturm, so wird sie von Marelli inszeniert und hält sich dennoch an Zweigs Wort: "Die Politik vergeht, die Kunst besteht" (April 1933!).Das ambivalente Ereignis schließt der Regisseur in einen Turm ein, darin der alte Hagestolz Sir Morosus sich vor der Außenwelt abkapselt: "Ein alter Mann ist nur ein halber Mann." Weil der trübsinnige Held ein erbitterter Feind jeglichen Lärms ist, gelingt es seinem schlauen Barbier, ihm die Heirat mit einer Frau einzureden, die nett und adrett und schweigsam ist."Vivat, Meister Schneidebart!" meint dazu eine Schauspielertruppe, die den Alten austricksen wird.

Zweig geht frei nach einer Vorlage von dem Shakespearezeitgenossen Ben Jonson - "The Silent Woman" - vor, indem er dessen derbere Späße "champagnisiert".Das in die Zeit um 1780 verlegte Stück liest sich, "sehr wahr, Euer Liebden", Hofmannsthal-nahe, aber darüber hinaus originell in mancher Formulierung.Morosus, voll Zorn: "O diese Glocken / die bös und schwarz auf den Türmen hocken / unsichtbar stumm im Gestühle kauern / und die Zeit, die unendliche Zeit belauern." Bis sie plötzlich losdonnern ...

Der geräuschempfindliche Misanthrop, ein ehemaliger Seemann, flüchtet sich in Erinnerungen an seine Glanzzeit bei der Königlichen Flotte.Sein Kerkerturm, von einer Wendeltreppe umgeben, ist bei Marelli ganz und gar Reverenz an ein Schiff, Bullaugen in den Wänden und elegante kleine Schiffsmodelle als Dekoration.Welt einer Marine von gestern.Der naturgemäß reiche alte Herr will seinen Neffen enterben, weil Henry Sänger geworden ist.Musik wird von Morosus auch als störend empfunden, "an den Ohren ist er so kitzlig wie andere unter der Sohle", weiß der Barbier.Die Künstlertruppe, vereinnahmende Leute mit viel Artistengepäck, kommt an sein Geld und - Zweig ist ein feiner Mann, der nicht richten, sondern verstehen will - sogar an seine Seele mit dem üblichen Komödiantenarsenal: junges Liebespaar, Verkleidung, Verstellung, falsche Geistliche und Notare, rasche falsche Hochzeit, eine schüchterne kleine Frau, die sich als theatralische Xanthippe entpuppt, um sich zurückzuverwandeln in die ohnehin an Henry vergebene Langweilerin Aminta.

Der Regisseur geht in dieser Sicht der Personen durchaus mit dem Stück, weil die interessanteren Rollen Sir Morosus, einem sentimentalen Ochs auf Lerchenau ohne dessen Glück, und dem Figaro aller Barbiere zufallen.Marco Arturo Marelli inszeniert den anachronistischen Charme der Musik, die "Rosenkavalier"- und "Ariadne"-Nachlese erhält einen Schuß Komödienstadl, vor allem durch die dralle Nebenperson Carlotta (Kerstin Witt), denn "Einen Narren naszuführen, das fällt keinem Mädchen schwer".Wenn die Truppe in rhythmisch-karikiertem Nachdenken verharrt, Pantomime, Radschlagen und der gute alte Handstand (Tänzer Hannes-Detlef Vogel mit den roten Strümpfen) aufleben, der Text in unterschiedlichen Dialekten mit beachtlicher Deutlichkeit gesprochen wird, kann man der Harmlosigkeit nicht böse sein und sich an den Regieeinfällen delektieren.

Die Instrumentierung macht aus dem Lärm, den Morosus scheut, mit Pauken und Tuba handfesten Krach, listig-lustig ins Extrem treibende Stellen der Partitur, während sich neben Zitaten auch viel Rührseligkeit einstellt, wo liebliche Gefühle zu besingen sind.Christof Prick dirigiert am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden den technisch schwierigen Strauss-Digest mit leichter Hand, immer auf Transparenz bedacht, so daß vor allem der Zweig-Text, das Entdeckungswürdigste des seltener gespielten Werkes, geehrt wird.Der Uraufführungsdirigent Karl Böhm berichtet in seinen Erinnerungen, Strauss habe das Libretto noch mehr geliebt als manche Texte von Hofmannsthal.In diesem Sinn ist Andreas Scheibner in Wort und Ton ein fabelhafter Barbier und souveräner flinker Darsteller.Günter von Kannen, der düpierte und kurierte Sir Morosus, siegt als Zentrum der Aufführung, während Clemens Bieber und Kirsten Blanck in den Rollen des Henry und seiner Frau Aminta den Oberflächenglanz ihrer Partien schuldig bleiben.

In der Semperoper vergnügt sich das Publikum an einer Inszenierung nach dem Motto "Die Komödianten kommen", und das ganze Ensemble ist mit intelligent gesteuerter Spiellust dabei.Und doch bleibt nicht verborgen, daß die autobiographische Sympathie Stefan Zweigs mit dem alternden Antihelden Morosus tiefer sitzt.So sehnt dieser sich nach Ruhe: "Wie schön ist doch die Musik - aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!" Es kommt eine Welt, in die man nicht mehr hineingehört.

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