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Kultur: Komm’ in den Garten

Mit seiner CD „Modern Times“ beschwört Bob Dylan die Vergänglichkeit

Wenn man mit Bob Dylan aufgewachsen ist, mit „Like A Rolling Stone“ als Offenbarung des Sommers 1965, der LP „Highway 61Revisited“, wenn man dann auch die früheren Alben entdeckt hat und die folgenden, wenn entscheidende Jahre geprägt waren von diesen Songs, die ganze Leben umkrempeln konnten, dann hat man auch später nicht mehr davon gelassen, hat jede neue Veröffentlichung mit leidenschaftlicher Gespanntheit erwartet. Und einem bangen Gefühl: Was wird es diesmal? Wie wird seine Stimme klingen? Wie werden die Songs sein? Der alte Bob? Ein neuer Bob? Elektro-Bob? Akustik-Bob? Folk-Bob? RockBob? Country-Bob? An Bob Dylan, dem gößten Songschreiber-Chronisten der Moderne, ist nur eines berechenbar: seine Unberechenbarkeit.

„Modern Times“ heißt sein neues Album. Ein altmodischer Titel, der nach Zeitkritik klingt und an Chaplins Film von 1936 denken lässt. Wo der melancholische Tramp unter die Räder moderner Zeiten gerät. Dylan hat einiges gemeinsam mit Chaplin: den melancholischen Humor, das Missverstandene und eine rührende Schüchternheit. Der alternde Tramp Bob Dylan mit 65 in moderner Zeit, mit schwarzem Cowboyhut und einem skeptischen Zug um den Mund. Das ist nur der halbe Bob, den wir auf der Rückseite des Albums sehen. Den ganzen Bob hören wir in seinen neuen Liedern. Wieder bangt man ein bisschen: Wird er den nahtlosen Anschluss schaffen an die beiden herausragenden letzten Alben „Time Out Of Mind“ (1997) und „Love And Theft“ (2001)?

Alt genug inzwischen, nicht zu viel zu erwarten und dennoch zu hoffen, stülpt man die Kopfhörer über, lässt Dylan einfahren in den Schacht, hofft auf Tiefe, lauscht hinein: Klirrend, klimperiges Elektrogitarren-Blues-Intro. Und dann rollt es los. Dylan, begleitet von seiner derzeitigen Tour-Band. Und Bob ganz dicht am Mikrofon, im Ohr des Hörers: gefühlvoll, schotterig, schmirgelig. Chuck Berry in den Fingern, „Johnny B. Goode“-Phrasierungen in der Stimme. Und die Gitarren marschieren im „Duck Walk“. Es klingt roh und direkt, wie in einem Blues-Club der Fünfzigerjahre.

„Spirit On The Water“ mit seiner repetitiven „Blipp-Blipp-Blipp-Blipp“-Gitarren-Piano-Figur ist charmanter PopSwing, fröhlich und melancholisch zugleich. Und mit der provokativen Textzeile: „You think I’m past my prime? Let me see what you’ve got.“ Die besten Zeiten, versprochen, kommen noch. Mit einer rasanten Interpretation des Klassikers „Rollin’ And Tumblin’“ beweist Dylan erneut seine alte Liebe zum Blues. „When The Deal Goes Down“ ist ein zauberhafter Walzer, der mit anrührend traurigem Gesang die Grundstimmung von „Time Out Of Mind“ wieder aufnimmt: „We’ll live and we’ll die, but I’ll be with you when the deal goes down.“ Bob als trauriger Tröster, Freund an unserer Seite. Bevor er sich wieder in treibenden Boogie à la John Lee Hooker stürzt: „Someday Baby“ mit „Baby Please Don’t Go“-Riff.

Und einen weiteren Glanzpunkt setzt mit der pianogetragenen, zauberhaft gesungenen Ballade „Workingman’s Blues #2“. Eine Hommage an Merle Haggards gleichnamigen Honky-Tonk-Song als Ausdruck des Mitgefühls für den einfachen Arbeiter in Zeiten der Globalisierung. „Beyond The Horizon“ swingt aus einer vergessenen Zeit herüber. Getragen von der Sehnsucht nach einer Liebe, die bis ins Jenseits reicht: „Behind the horizon at the end of the game, every step that you take, I’m walking the same.“ Auch in der Ballade „Nettie Moore“ besingt Dylan mit berauschender Stimme Vergänglichkeit und ablaufende Zeit: „The world has gone black before my eyes.“

Der absolute Höhepunkt des Albums kommt zum Schluss: „Ain’t Talking“. Zu akustischen und elektrisch verstärkten Gitarren, dräuendem Cello, Kontrabass und gewischtem Schlagzeug besingt Dylan fast neun Minuten lang apokalyptische Visionen. In dunklen Bildern beschwört er einen mysteriösen Garten: „As I walked out in the mystic garden on a hot summer night, a hot summer lawn. Excuse me, ma’m I beg your pardon, there’s no one here, the gardener is gone.“ Das Paradies? Die Hölle? Dylan als Sänger, Seher, Poet, Provokateur, altersweiser, trauriger Troubadour. Und irgendwann knurrt er beschwörend: „Someday you will be glad to have me around.“ Nein, nicht erst dann, nicht erst irgendwann, Bob. Wir waren schon immer froh, dass wir dich haben. Und wir wollen doch noch eine ganze Zeit zusammenbleiben, oder?

„Modern Times“ von Bob Dylan erscheint heute bei Sony/Columbia.

H.P. Daniels

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