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Kultur: Komm in meinen Caravan

Quicklebendig: Die Berliner Tanzszene präsentiert sich bei der Tanznacht ’08 in den Uferhallen

Von Sandra Luzina

Noch hat es sich nicht in der ganzen Stadt herumgesprochen, aber in Berlin entsteht derzeit ein neuer, ein aufregender Kunstort. In den ehemaligen Zentralwerkstätten der BVG in Wedding hat ein privater Betreiber die Uferhallen etabliert. Ein Teil des Areals wird bereits für Ausstellungen genutzt. Im nächsten Jahr wird hier ein internationales Tanzzentrum entstehen. Bei der „Tanznacht Berlin ’08“ setzen die Choreografen schon mal den Fuß in die Depothallen mit ihrem roh industriellen Charme. Der Kurator Peter Stamer und sein Team haben ein kleines Wunder bewirkt. In zwei Studios wurden Bühnen aufgebaut, eine Cafeteria eingerichtet und mit zusammengetragenem Mobiliar und zwei Tannenbäumen bestückt. Eine besondere Attraktion ist der Trailerpark: Acht Caravans aus den Siebzigern wurden von den Künstlern umgestaltet. Hier können die Zuschauer sich zum Kuscheln zurückziehen, Favorit ist das Modell Delores, das mit rosa Plüsch ausgeschlagen ist. Wer in ein anderes Wohnmobil steigt, kann per Videoinstallation an einer Tour durch den wilden Wedding teilnehmen. Alles hat hier noch den Charme des Provisorischen, die Räume riechen nach Arbeit, und so hat die 5. Tanznacht Berlin diesmal einen Werkstatt-Charakter.

Das Tanzfest hat sich zu einem viertägigen Festival gemausert: Bis in die heutige Sonntagnacht hinein präsentieren ausgewählte Choreografen aus Berlin ihre Arbeiten. Peter Stamer hat die Produktionen nicht wie früher auf Gala-Format geschrumpft, sondern sie werden in voller Länge gezeigt. Die Unermüdlichsten können gleich in einem der Caravans übernachten und an einem der morgendlichen Workshops teilnehmen.

Ein aufregender Newcomer ist Colette Sadler. Bei den sechs Kapuzenträgern, die sich in „The Making of Doubt“ auf der Bühne lümmeln, ist zunächst nicht klar, ob es sich um Tänzer oder um lebensgroße Puppen handelt. Die Performer gleichen sich immer mehr den wattigen Puppenkörpern an, die keinen Widerstand leisten, sich beliebig manipulieren lassen und am Ende in die Ecke geworfen werden. Sadler konfrontiert die Zuschauer mit grotesken Anatomien: etwa wenn Kreaturen mit drei Armen oder drei Beinen sich ineinander verknäulen.

In Christoph Winklers „Posed“ wird fast nur geredet und kaum getanzt. Dafür werden die Zuschauer bewegt. Sie müssen mit ihren Klappstühlchen immer wieder den Platz wechseln. Den Anweisungen ist unbedingt Folge zu leisten! Das Sprechen ersetzt die künstlerische Aktion. Winkler untersucht, wie Wort und Bewegung divergieren. Wenn es dann heißt: „Jörg wird nun eine Handlung durchführen, die in keinster Weise geprobt wurde“, dann ist die Ankündigung lustiger als alles, was Jörg an diesem Abend tut.

Endlich wieder auf der Bühne zu erleben war Ami Garmon: „Take Me Home With You“ ist eine furiose Sprech- und Tanzperformance zwischen Melancholie und Hysterie. Garmon entführt in ein Museum der Trauer, hier begegnet man Kindheitstraumata und verflossenen Lieben, hier finden aber auch ungeliebte Körperteile ihren Platz– wie auch die Körperteile ungeliebter Liebhaber. „Take Me Home With You“ begeistert durch starke Emotionen, fragil-rabiate Körperbilder und irrwitzige Komik. Mit einem Mitternachtskonzert des New Yorker Ekstatikers Jeremy Wade endet die Tanznacht heute. Weitergetanzt wird dann 2009 in den neuen Uferstudios.

Uferhallen Wedding, Uferstraße 23, am heutigen Sonntag ab 10.30 Uhr. Infos unter: www.tanznacht-berlin.de

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