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Kultur: Komm, süßer Tod

Von Mirko Weber „Alle stehen außer Atem“, heißt es in der Regieanweisung, und der reiche Mann, dessen Leben und Sterben im Spiel von Hugo von Hofmannsthal verhandelt wird, „greift nach seinem Herzen“, weil der Tod hinter ihm aufgetaucht ist, ganz plötzlich. „Was will mein Gott von mir?

Von Mirko Weber

„Alle stehen außer Atem“, heißt es in der Regieanweisung, und der reiche Mann, dessen Leben und Sterben im Spiel von Hugo von Hofmannsthal verhandelt wird, „greift nach seinem Herzen“, weil der Tod hinter ihm aufgetaucht ist, ganz plötzlich. „Was will mein Gott von mir?“, sagt Jedermann. Und der Tod antwortet: „Das will ich dich weisen.“ Dies ist der Moment, in dem es auf einmal ganz ruhig wird vor dem Salzburger Dom, und zwar an jedem „Jedermann“-Spieltag der Salzburger Festspiele seit 1922. Der Moment, in dem man die berühmte Stecknadel fallen hören könnte, jedenfalls so lange der „Jedermann“ zur Aufführung kommt. Trotz Glockenklang. Trotz Hufgeklapper. Und trotz des Menschengesumms in der schwülen Salzburger Gassenluft.

Die ewige Wiederkehr des Immergleichen, hier wird sie Ereignis. Warum etwas ändern? Regisseur Christian Stückl sitzt im Cafe Tomaselli und sprudelt in einem fort Rauch und Sätze heraus, ohne dass ihm die Luft ausgeht. Was den reichen Mann betrifft, dessen Leben und Sterben er hier am Sonntag neu inszenieren soll, ist der 40-jährige Stückl eigentlich kein Fachmann, das sagt er sofort. Der „Jedermann“ sei nämlich erst vor anderthalb Jahren hinter ihm aufgetaucht, unversehens und praktisch in Gestalt des neuen Salzburger Schauspieldirektors Jürgen Flimm. „Was will mein Flimm von mir?“ hatte Stückl noch gedacht. Und Flimm antwortete: „Das wird sich weisen.“

Christian Stückl aus Oberammergau hat das Stück weder gekannt, noch dessen mythische Aura. Wenn er’s recht bedenke, habe er auch Hofmannsthal nicht sonderlich präsent und Salzburg schon gar nicht. Was Salzburg anbetrifft, hat sich daran kaum etwas geändert. Stückl kann zehn Minuten vor einem Trafik stehen, im Kopf selbstverständlich woanders, nämlich auf der Bühne, und dann fragen: „Wo habt’s ihr denn einen Zigarettenladen hier?“

Den „Jedermann“ hingegen kennt Stückl mittlerweile auswendig, ja, er lebt dermaßen in dem Stück, dass selbst die Kellner im Tomaselli die Hälse recken, wenn er erzählt, und die Kellner hier sind einiges gewohnt. Stückl jedoch ist eine Schau für sich, wie er die langen Haare rauft, mit einem Ruck das Regiebuch vom Tisch wischt („von Max Reinhardt, aber das meiste kann man nicht entziffern“), um dann wieder Sätze zu zitieren, Stelle um Stelle. „Wie war das noch“, sagt er, „genau“: „Hab ihnen die Dörn aus dem Fuß getan/ Und auf meinem Haupt sie getragen als Kron./Soviel ich vermocht, hab ich vollbracht.“ Da spricht „Gott, der Herr“, wie er genannt wird, und das fand Christian Stückl hochinteressant. Mit Gott, dem Herrn, kennt er sich nämlich aus, seit er mit ihm Jahre bei den Passionsspielen in Oberammergau verbracht hat. Man ist dann trotzdem nicht auf du und du, sagt er, aber man kennt sich wieder. Und der Herr, wie er bei Hofmannsthal auftaucht, hat es ziemlich satt mit seinem Volk, man muss ihm nur zuhören.

Zuhören konnte Stückl schon immer gut. Wer sich an seine Zeit an den Münchner Kammerspielen bei Dieter Dorn erinnert, rühmt vor allem Stückls Ohr. Im letzten Jahr – „als die Figuren schon längst alle in meinem Kopf waren“ – hat er sich doch einmal eine Jedermann-Aufführung angesehen in Salzburg, die von Gernot Friedel betreut wurde, konzeptionell aber immer noch von Max Reinhardt und vom Anfang des letzten Jahrhunderts stammt. Eine Inszenierung, die pompös und porös zugleich wirkte. Denn obwohl die Bläser aus großer Höhe schmetterten und Mammon aus noch größerer Höhe auf den Domplatz herabpredigte, wurde der „Jedermann“ fast nur noch von einem kleinen Leimrest der Erinnerung zusammen gehalten. Einer Erinnerung wohlgemerkt, die selbst bei den Ältesten im Publikum nicht mehr zurückreichte in die Anfangszeiten des Stückes, das die Festspiele neben dem „Großen Salzburger Welttheater“ einst hatte prägen sollen. Alexander Moissis staunenswertes Pathos in der Hauptrolle ist auf CD erhältlich; im Bewusstsein ist es kaum noch. Und wer immer danach dem Wesen des Spiels beizukommen versuchte, ob der polternde Curd Jürgens, der elegante Helmut Lohner, der schlawinerhafte Gert Voss oder der albernde Ulrich Tukur: Alle wollten sie immer etwas darstellen, anstatt einfach nur zu sein.

Christian Stückl hat einmal in Südindien eine Version des „Sommernachtstraums“ inszeniert, und er weiß, dass man sich manchmal eher besser dumm stellt, als klug zu tun. Und nur weil er innerhalb einer christlichen Tradition aufgewachsen ist, hat er noch lange nicht ein Dutzend Antworten parat, wenn es um den Sinn der Sache geht. „Am Tod“, sagt Christian Stückl, „kommt keiner vorbei“. Und er denkt, dass die enorme Anziehungskraft des „Jedermann“ nicht zuletzt darauf beruht. Zumal auf einer Kundschaft, die sonst eher laufen gehen würde, wenn am Abend Theater droht.

So ist es Stückls wichtigstes Ziel, den „Jedermann“ von dem Sockel zu holen, auf dem Hofmannsthals Stück in Salzburg nunmehr 80 Jahre lang und am Ende reichlich bemoost gestanden hat. Wenn der Regisseur sich später bei der Probe zwischen den Kindern bewegt, die in seiner Aufführung mehr als Dekoration sein sollen, merkt man, dass er den Text nicht als befremdliche Moralpredigt versteht, sondern als knittelversige Gebrauchslyrik: „Es hieß: So lang einer im Glück ist/Der hat Freunde die Menge/Doch wenn ihm das Glück den Rücken kehrt,/Dann verläuft sich das Gedränge.“ Jürgen Flimm habe zu ihm gesagt: Erzähl den Text einfach neu. Chefs haben manchmal leicht reden.

Was Stückl nicht will, ist eine Karikatur. Das ist ihm zu billig. Dazu muss er nicht seine Zeit investieren und seine Träume dazu. Mittlerweile kommen sie schon nachts, sagt der Regisseur, die guten Werke und der Erzengel Michael, der dicke und der dünne Vetter, der Engel und der Glaube, aber das muss wohl so sein, wenn man mit Haut und Haaren drin steckt in seiner Arbeit.

Ein gewisser Glamour gehört jedoch zum „Jedermann“. Und wie schon früher ist auch heute noch die Frage nach Hofmannsthals Stück eigentlich die Frage nach der Besetzung der Hauptrollen. Stückl möchte, dass aus den allegorischen Figuren Menschen werden, mit denen jeder etwas anfangen kann. Also will er auch Schauspieler, die sich bewegen lassen – und keine versnobten Puppen. Veronica Ferres als Buhlschaft und Peter Simonischek als Jedermann waren von der Leitung der Festspiele „gesetzt“, sagt Stückl. Er mag die Ferres und verehrt den Simonischek, aber dann auch wieder nicht mehr als den geringsten seiner anderen Darsteller. Spätestens seit Oberammergau weiß Stückl, dass gutes Theater immer so gut ist wie die Summe seiner Teile.

Und wenn der Tod einmal zu ihm kommt? Zum erstenmal an diesem Nachmittag überlegt Christian Stückl länger als eine Sekunde. „Klar gehe ich dann mit“, sagt er und zieht einen halben Zentimeter Glut auf einmal. „Aber vielleicht können wir vorher noch ein bisschen reden.“

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