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Kultur: Komm, wir tauchen ins Licht

Almut Gettos „Fickende Fische“, ein wunderbar fertiger Blick auf das Unfertigsein

Von Kerstin Decker

Soll man über Wasser oder unter Wasser leben? Dieser Tage klingt diese Frage nicht gut. Vielleicht will in Passau gerade niemand „Fickende Fische“ sehen. Aber Jans Wasserwelt ist gar keine Hochwasserwelt. Da ist nichts Reißendes mehr, nichts Strudelndes. Es ist nur ein Eintauchen. Kein Lärm, nur ein Gleiten. Jan hält die Luft an unter Wasser in der Badewanne. Es war eine große Unvorsichtigkeit des Lebens, an Land zu gehen.

In ein Dasein mit Ecken und Kanten, regiert von Druck und Stoß. Autofahrer bremsen manchmal im letzten Augenblick, wenn Jan über die Straße geht. Aber Nina auf ihren Inline-Skates fährt den Jungen, die Plastiktüte mit dem Fisch in der Hand, einfach um. Stürzen, Aufprallen - alles Festlandsfortbewegungen, undenkbar in Jans Wasserwelt, das weiß er noch im Schmerz. Und das Mädchen steht vor ihm, sie sehen auf die geplatzte Tüte mit dem toten Fisch. Oder ist der Fisch nur bewusstlos?

„Fickende Fische“, der erste lange Film von Almut Getto, ist einer über das Auftauchen. Alle Filme übers Erwachsenwerden handeln vom Auftauchen. Als richtig erwachsen gilt, wer das Meer vergessen hat. Meist hat das Meer dann auch ihn vergessen.

Das Kino erzählt nicht gern von den ganz Festgewordenen. Sondern lieber von den Jungen, in den sogenannten Coming-of-age-Filmen. „Fickende Fische“, dieses Jahr auf dem Festival in Saarbrücken und auf der Berlinale, erzählt diese Allerweltsunterwassergeschichte noch einmal neu, wie zum ersten Mal.

Dabei hatte Almut Getto zunächst einen sehr festländischen, scharfkantigen Gedanken: Diese Gesellschaft spricht gar nicht mehr über Aids, fiel ihr auf. Und sie fragte sich, was mit einem HIV-infizierten Jungen passiert, wenn er sich verliebt. Jan ist 16, infiziert durch eine Bluttransfusion, und er weiß es. Aber „Fickende Fische“ ist keineswegs ein Film über HIV. Denn es ist kein Festlandsfilm. Die kontinentale Wahrnehmung verkennt eins: Niemand „hat“ HIV. Es durchdringt einen, es löst sich in der Seele, es macht schwer. Es ist ein Wort, das nur auf Festländern gilt. Unter Wasser besitzt es für Jan keine Kraft mehr.

Auch Nina stellt erst mal diese typischen Festlandsfragen. Zum Beispiel: Wie unterscheidet man einen bewusstlosen von einem toten Fisch? Oder : Ficken Fische eigentlich? Jan hat noch nie darüber nachgedacht. Die junge Sophie Rogall spielt das Mädchen mit den Küstenfragen, sie zieht den Jungen ins Trockene, mitten hinein in die Welt der Unterscheidungen. Ohne sie hätte Jan – Tino Mewes spielt ihn zurückhaltend und verletzlich, aber nicht schüchtern – nie im Aquarium übernachtet, zum Fischebeobachten. Und ohne Nina würde er nie sein Zimmer meerblau streichen und überall Fische an die Wände malen. Nur als Nina mit ihm schlafen will, wird er unbarmherzig ans Ufer all seiner Begriffe zurückgeschleudert. Er kann ihr unmöglich sagen, was mit ihm ist. Er kann auch unmöglich die immunsystemstärkende Diätkost seiner Mutter weiteressen. Und er wird nicht wie ein Greis seine Tabletten weiter nehmen.

Es sind diese Gegenbewegungen, der immer neue Wechsel der Aggregatzustände, der nicht kalt lässt. Liebe und Tod, Jugend und Uralter - auch nur Aggregatzustände der Seele zuletzt. Dieser Film findet einfache Motive für unsere ozeanischen Tiefenreiche, lautlos verspielt wie alle Unterwasserwelten. Und man sieht mehr, als man begreift: Das ist, im glücklichsten Falle, das alterslose Wissen des Kinos.

Cinemaxx Potsdamer Platz und Colosseum, Cubix Alexanderplatz, Hackesche Höfe, Kant

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