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Kultur: Komödie, Tragödie

Gekürzte Etats, Krawalle, drohende Pleite. Auch die griechische Szene ist paralysiert.

Vor einigen Tagen wurde das archäologische Museum im antiken Olympia überfallen. Zwei bewaffnete Männer überwältigten die Wache, schlugen Vitrinenfenster ein und erbeuteten 65 kleine Statuen aus Kupfer und Ton. Das Land reagierte schockiert. Selbst wenn der Wert der Stücke nicht hoch gewesen sein mag, der symbolische Verlust ist immens. Nicht nur drakonische Sparforderungen von außen – jetzt plündern auch schon Einheimischen das antike Erbe, vergreifen sich am wichtigsten Baustein der so brüchigen griechischen Identität. Die Verantwortlichen waren schnell gefunden. Die empfindlichen Kürzungen der Regierung sind schuld. Es gibt zu wenig Aufsichtspersonal. Nachdem der Raub bekannt geworden war, bot Kulturminister Pavlos Geroulanos Premierminister Papademos seinen Rücktritt an. Eine große Geste – der bis jetzt allerdings nichts folgte.

Denn ob Papademos das Angebot angenommen hat, ist bis heute unklar. Der Premierminister hat mit der Rettung des Landes im Moment auch anderes zu tun, als sich um Kulturangelegenheiten zu kümmern. Ist Geroulanos also noch im Amt oder nicht? Großes Achselzucken. So spiegelt sich auf höchster Ministerebene das Elend eines Schwebezustands, der seit Jahren auch die Kulturszene des Landes paralysiert. Geht es weiter? Und wenn ja, wie?

Der Etat des Kulturministeriums ist 2011 um 22 Prozent gekürzt worden. Damit stehen so gut wie alle großen Kulturinstitutionen zur Disposition. Das Filmfestival von Thessaloniki konnte im letzten Jahr nur in einer Schrumpfform stattfinden. Die Mitarbeiterzahl wurde halbiert, Künstler wurden zu zweit in Doppelzimmern untergebracht. Ob das Athens Festival, das im Sommer das Theater in Epidaurus bespielt und große Produktionen aus Europa in die Stadt holt, dieses Jahr überhaupt stattfinden wird, ist fraglich. Und erst vor kurzem wurde die drohende Schließung der Griechischen Kulturstiftung in Berlin glücklicherweise von der Agenda gestrichen.

Die Kulturstiftung ist das Pendant zum Goethe-Institut, nur wesentlich bescheidener. Sie unterhält vierzehn Zweigstellen, vornehmlich in den Ländern des Balkans. Die Berliner Dependance ist die größte, also die teuerste, und deshalb forderte der Stiftungspräsident ihre Schließung. Eine Schnapsidee, denn gerade jetzt, wo die deutsch-griechischen Beziehungen angespannt sind, setzt das kleine, ehrgeizige Team um den Leiter Eleftherios Ikonomou mit Diskussionen und Veranstaltungen auf Aufklärung und Deeskalation, hat sich darüber zu einem Ort des vorurteilsfreien, bedachten deutsch-griechischen Austauschs entwickelt. Das Konzept wurde vom Kulturminister abgelehnt, worauf der Präsident und der gesamte Vorstand der Stiftung zurückgetreten sind. „Im Moment arbeiten wir ohne Leitung“, sagt Ikonomou. „Ich bin zuversichtlich, dass es weitergeht.“

Ohnehin kommen die Berliner seit zwei Jahren nahezu ohne Programmetat aus. Nur Gehälter und Mieten werden aus Athen bezahlt, die Gelder für Veranstaltungen über Sponsoren generiert, hauptsächlich über private Geldgeber und Stiftungen. Die (im Ausland sitzenden!) Stiftungen der Superreichen wie die Latsis-Stiftung oder die der verstorbenen Reeder Niarchos oder Onassis sind, Ironie der Geschichte, inzwischen zur einzig verlässlichen Geldquelle im Kulturbereich geworden.

So plant die Niarchos-Stiftung für 2015 die Eröffnung eines neues Opernhauses und einer großen Bibliothek in Athen. Im letzten Jahr wurde das pompöse Gebäude der Onassis-Stiftung an einer Ausfallstraße nach Piräus eingeweiht. Seitdem „füttert“ die Foundation mit einem eigenen Theaterprogramm auch einige der ums Überleben kämpfenden Theatermacher, wie es der 33-jährige Regisseur Anestis Azas formuliert. Von einem subventionierten Stadttheaterbetrieb wie in Deutschland konnte Griechenland auch vor der Krise nur träumen. Es gibt zwei Staatstheater, das Nationaltheater in Athen und eines in Thessaloniki, daneben eine handvoll Stadttheater in der Provinz.

Die große freie Szene wurde über einen Fonds gefördert, dessen Zahlungen vor zwei Jahren eingestellt wurden. Aber auch am Nationaltheater, das statt zwanzig nur noch zehn Premieren herausbringt, gehört die Zeit festangestellter Schauspieler der Vergangenheit an. Etwas über 700 Euro verdient ein Schauspieler, die Verträge laufen nur über fünf Monate. Um ein „aktionistisches Zeichen“ zu setzen und etwas gegen die um sich greifende Verzweiflung zu tun, hat Azas, der an der Ernst-Busch- Schule in Berlin Regie studierte, mit Kollegen das leer stehende Theater Embros im Athener Bezirk Psirri besetzt. Dort bieten sie wechselnden Theatergruppen Aufführungsräume und den Bewohnern kostenlose Vorstellungen.

Das fehlende Geld ist das eine, das, was die Krise mit Künstlern und Bevölkerung macht, das andere. „Es gibt eine Sehnsucht nach dem Gehaltvollen, Substanziellen“, sagt Lena Kitsopoulou. Die Vierzigjährige arbeitet als Schauspielerin und Regisseurin, unter anderem am Nationaltheater, und bereitet in diesen Tagen ein Stück am Theater Karolos Koun vor. Anders als viele andere will sie Griechenland nicht verlassen. „Griechenland ist mein Material.“ Sie sieht den Zustand auch als Chance. „In Griechenland ist alles kaputt, schon sehr lange. Und jetzt kommt die Wahrheit ans Licht. Ich freue mich darüber, dass Menschen, die wegen der Vetternwirtschaft zu Unrecht Geld bekommen haben, plötzlich mit leeren Händen dastehen.“

Und wie wird es weitergehen? „Keine Ahnung. Es wird Armut geben. Wir werden wie Bulgarien. Wir werden für 300 Euro im Monat arbeiten.“ Wie viel sie für ihre aktuelle Produktion bekommt, weiß sie nicht. Sie nimmt, was man ihr gibt. „Hauptsache, ich kann arbeiten.“ In ihrer Schublade liegt ein halb fertiges Stück, gedacht für das Athens Festival, dessen Finanzierung noch in den Sternen steht. Darin kommt ein griechischer Freiheitskämpfer aus dem 19. Jahrhundert ins Athen von heute. Als er das lockere Leben sieht, pfeift er auf seine Ideale, macht eine Taverne auf und lässt es sich gut gehen. „Ein Spiel mit der Wiederholung von Geschichte“, sagt sie. Ob es eine Komödie oder zum Schluss doch eher eine Tragödie wird, weiß sie noch nicht. „Wir warten. Alle. In einer Woche wissen wir vielleicht mehr.“

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