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Kultur: Konferenz der Paradiesvögel

Vorgeschmack auf die Documenta: In Wien stellt Roger M. Buergel „Die Regierung“ aus

Wenn Roger M. Buergel jetzt eine Ausstellung macht, dann schaut die Kunstöffentlichkeit genauer hin. Der künstlerische Direktor der Documenta 12 ist zwar kein großer Unbekannter mehr wie noch vor einem Jahr bei seiner Berufung auf den prestigeträchtigsten Posten, der in der zeitgenössischen Kunst zu vergeben ist. Und trotzdem weiß keiner so recht, was der 42-Jährige im Sommer 2007 in Kassel plant – wie noch bei jeder Documenta.

So erfreut sich die aktuelle Schau in der Wiener Secession besonderer Aufmerksamkeit, selbst wenn dies – nach Lüneburg, Barcelona und Miami – die vierte Station der zusammen von Buergel und seiner Lebensgefährtin Ruth Noack organisierten Ausstellung ist. Doch Wien ist die Heimatstadt des stets gemeinsam wirkenden Kuratorenpaars. Hier hat die ursprüngliche Planung ihren Ausgang genommen, hier findet die Umsetzung ihre überraschendste Form: im Aggregatzustand der Verflüssigung, wie Noack beim abendlichen Künstlergespräch erklärt. Woche für Woche wird umgehängt, kommen neue Werke hinzu, die Ausstellung gerät zum „dreidimensionalen Film“, in dem gegenwärtig etwa Peter Friedl, Alan Sekula und Ines Doujak mitspielen.

„Die Regierung“ lautet der Ausstellungstitel, der den politischen Impetus verrät. Zugleich wird klar, dass von Buergel keine Rückkehr zur reinen Ästhetik zu erwarten ist, auch wenn er in Interviews eine „schöne“ Documenta versprochen hat. Der Untertitel „Paradiesische Handlungsräume“ bezieht sich auf einen Satz des französischen Philosophen Michel Foucault, der Macht als die Strukturierung von Handlungsräumen definierte. Das Kuratorenpaar entwickelt diesen Gedanken in den Ausstellungsraum fort, der sich ebenfalls als ein Beziehungsnetz zwischen Werken und nicht zuletzt dem Betrachter darstellt.

Womit Buergel bei seinem Lieblingsthema ist. Auch die Documenta 12 soll sich aus einer intensiven Zusammenarbeit mit den künftigen Besuchern entwickeln, hat er vor wenigen Wochen bei seiner ersten programmatischen Pressekonferenz in Kassel verkündet. Nichts findet er langweiliger als Ausstellungen nach Schema F, erklärt der „intellektuelle Feinspitz“, wie ihn die Wiener bezeichnen, auch beim Podiumsgespräch in der Secession. „Wie kann man einen Diskussionsprozess in das Medium der Ausstellung überführen?“, lautet für ihn die Frage.

Mit Buergel und Noack denken an diesem Abend außerdem Alice Creischer und Andreas Siekmann laut nach, die wohl am besten die Vorstellung einer intellektuell-politisch-ästhetischen Kunst vermitteln. Das Berliner Künstlerpaar hatte monatelang in Argentinien recherchiert und von seiner Reise die Reste des Archivs „Tucumán arde“ (Tucumán brennt) mitgebracht. Es umfasst Fotodokumente des künstlerischen Widerstands von 1968 gegen die von der Regierung verordnete Umstrukturierung des Zuckerrohranbaus. Die Schwarzweiß-Fotografien der damaligen Protestumzüge und -ausstellungen fügen sich nun in einen blauen Fries von Jürgen Stollhans, der wiederum die Produktion der Edelkarosse „Maybach“ thematisiert und die Wiener Secession in einen virtuellen Autosalon verwandelt. Das passt bestens in die Tradition des Hauses, das seinen Ursprung in den Wiener Werkstätten und ihren edel gefertigten Gebrauchsständen hat. Zugleich zitiert der Künstler den berühmten Beethoven-Fries, den Gustav Klimt um die Jahrhundertwende schuf. Darin steht das Blau noch für die Unmäßigkeit; heute repräsentiert es dagegen die Partei-Farbe der „Freiheitlichen“. Diese Zusammenhänge erschließen sich allerdings nur demjenigen, der sich von der spröden Ausstellung nicht abschrecken lässt.

Bei den „Paradiesischen Handlungsräumen“, die die Kuratoren für die Dauer einer Ausstellung geschaffen haben, hängt also alles mit allem zusammen: die Politik mit der Kunst und die Kunst mit dem Leben. Da verwundert es auch nicht, wenn Ruth Noack auf dem Podium fragt: „Roger, warum hast du eigentlich eine historische Position wie das Tucumán-Archiv in die Ausstellung hineingenommen? Dient das der Absicherung?“ Der hat damit keine Probleme und reagiert gelassen auf die ketzerische Frage: „Ich würde sogar eine Mythenproduktion in Kauf nehmen.“ Die Sorge Alice Creischers, an der „Fetischisierung“ des damaligen Tucumán-Protestes mitzuwirken, ficht ihn ebenfalls nicht an. „Ich habe eine Verantwortung, am Kanon mitzuarbeiten. Es ist wichtig, einem westlichen Publikum zu vermitteln, dass es ’68 auch in Südamerika gab.“

Mit Roger M. Buergel hat sich die Documenta also einen hoch moralisch denkenden Feingeist an Bord geholt, der voller intellektueller Lust eine Ausstellung orchestriert, zwischen Kunstwerken spannungsreiche Beziehungen knüpft und seinen Besuchern höchste Aufmerksamkeit abverlangt. Wer sich nach seinen ersten Äußerungen als frisch gekürter künstlerischer Direktor noch Hoffnung auf eine Rückkehr zur reinen Betrachtung von Kunst gemacht hatte, sollte sich schon jetzt im politischen und philosophischen Mitdenken schulen. Und sich für Überraschungen wappnen – etwa wenn Buergel tatsächlich einen Supermarkt als Ausstellungsort deklariert und dafür die neue Documenta-Halle dem Warenverkauf überlässt. „Paradiesische Handlungsräume“ lassen sich eben auch in Kassel eröffnen.

Wiener Secession, bis 24. April.

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