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Spiegelgefecht. Armin Petras arbeitet mit bewährten Bühnentricks: hier Aenne Schwarz, Anja Schneider, Thomas Lawinky, Cristin Koenig und Max Simonischek. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Kultur: Konfetti im Luftschutzkeller

Armin Petras dramatisiert Jonathan Littells Nazi-Roman „Die Wohlgesinnten“ am Gorki-Theater

Der Abend beginnt mit einem alten Theatertrick. Wer in Erwartung böser Täterfiguren auf die Bühne äugt, schaut ins eigene Gesicht. Denn dort steht nichts als ein überdimensionaler Spiegel, der den Zuschauerraum in optische Geiselhaft nimmt. Derart auf sich selbst zurückgeworfen, sitzt das Publikum im Maxim Gorki Theater eine Weile geduldig da. Bis endlich im ersten Rang, Mitte, ein Mann im blauen Wollpullover das Wort erhebt. „Ich will hier nicht behaupten, ich sei an diesem oder jenem nicht schuldig“, doziert er von der Königsloge herab und schiebt mit gepflegtem Zynismus nach: „Ihr seid nicht schuldig, wie schön für euch!“ Kein Grund allerdings für moralische Überlegenheitsgefühle: „Ihr habt vielleicht mehr Glück gehabt als ich. Aber ihr seid nicht besser.“

Der Pulloverträger ist der Schauspieler Peter Kurth – in der Rolle einer der meistdiskutierten literarischen Figuren des letzten Jahrzehnts. Er spielt den Platon zitierenden, Altgriechisch parlierenden SS-Obersturmbannführer Dr. Maximilian Aue aus Jonathan Littells 1400-Seiten-Wälzer „Die Wohlgesinnten“.

Zur Erinnerung: Die 2006 zuerst in Frankreich erschienene Lebensgeschichte des fiktiven NS-Täters, der in schwer zu ertragendem Detailreichtum die Massenvernichtung der europäischen Juden, den Kessel von Stalingrad und das Wohnzimmer von Adolf Eichmann beschreibt, hielt die internationalen Feuilletons lange in Atem. Nicht nur, weil der 1967 geborene jüdische Autor Jonathan Littell hier minuziös die Innenperspektive eines Täters kolportiert, sondern auch, weil er die Kriegs- und Vernichtungsgräuel mit den homoerotischen und inzestuösen Sexualfantasien seines IchErzählers verschränkt.

Der Gorki-Intendant Armin Petras hat den Roman nun auf die Bühne gebracht. Littell wollte die Dramatisierungsrechte ursprünglich nicht herausrücken, erzählte Petras vorab in einem Interview, er habe die epische Existenzform völlig ausreichend gefunden.

Diese Haltung leuchtet ein. Denn rein formal betrachtet sind „Die Wohlgesinnten“ vor allem eines: extrem undramatisch. Unmöglich, denkt man beim Lesen, für die betont sachlichen Schauplatzbeschreibungen, Aues geisteswissenschaftlich ambitionierte Fieberfantasien oder die bürokratischen Zuständigkeitsstreitereien, von denen der Roman zu 99 Prozent lebt, eine theatrale Form zu finden.

Armin Petras’ Inszenierung bestätigt diesen Eindruck letztlich von der ersten bis zur letzten Minute: Sie versucht gar nicht erst, aus den „Wohlgesinnten“ Theater zu machen. Petras behält – wie so oft in seinen Romanadaptionen – den Erzählton einfach bei. Viele Passagen sprechen die Schauspieler chorisch, während sie auf dem erhöhten Steg, den Bühnenbildner Olaf Altmann vor den großen Spiegel gebaut hat, von Schauplatz zu Schauplatz hasten. Aus diesem Grundmodus der kollektiven Schuld schälen sich im Laufe des dreistündigen Abends immer wieder wechselnde Protagonisten heraus.

So gibt Thomas Lawinky unter anderem Max Aues Freund und Berufsberater Thomas als wirkungsversessenen Nazi- Proll. Bei Littell ist Thomas dagegen ein gelassener Dandy. Anja Schneider zeigt glaubhafter als einem lieb sein kann die Naivität und Impertinenz deutscher Nazi-Gattinnen und bespringt – ebenfalls im Unterschied zum Roman – als Witwe Helene ihren Max im Konfetti-Regen. Aenne Schwarz wechselt vom zitternden Bergjuden zu Aues ebenfalls zitterndem Objekt der Begierde: seiner Zwillingsschwester Una. Cristin König zwingt als Wiedergängerin der Klytämnestra aus Aischylos’ „Orestie“ ihrem Sohn Max Küsse ab. Und Max Simonischek schließlich windet sich als junger Aue, dessen Gefühlszustände im Roman vor allem durch andauernde orale wie anale Körperausscheidungszwänge erahnbar werden, in Kotzkrämpfen über die Bühne.

Problematischerweise verengen schon diese Darstellungsminiaturen die Perspektive des Romans enorm. Dessen Irritationspotenzial besteht – ganz gleich, wie man grundsätzlich zu ihm steht – gerade in seinem extrem nüchternen, sachlichen Tonfall. Littells Figur des teilnehmenden Beobachters, der Interpretationen meidet, vermag allein Peter Kurth darzustellen: Inzwischen vom Rang heruntergeklettert, kommentiert er das Geschehen als alter Max Aue retrospektiv am Bühnenrand.

Zum Darstellungszwang aller anderen Akteure kommt erschwerend hinzu, dass die Bilder, die Petras findet, leider nicht immer souverän wirken. Der Konfettiregen bei Fliegerangriffen im Luftschutzkeller kommt wie so mancher Licht- und optische Täuschungseffekt am Riesenspiegel aus der Trickkiste für olle Kamellen.

Zum Zweiten fällt die Hochachtung auf, die Petras der Vorlage entgegenbringt. Ihm ist es mit diesem Abend, mit diesem Sujet so verdammt ernst, dass er keinesfalls in jene Pornografiefalle tappen will, in der einige Kritiker Littell zappeln sahen. Das hat Petras zwar vermieden, allerdings um den Preis, dass er genau das, was von vielen Romanlesern tatsächlich als skandalös, anstößig und irritierend empfunden wurde, fast vollständig eliminiert. Gegen Aues epische Inzestfantasien sind Max Simonischeks und Aenne Schwarz’ Annäherungen von geradezu rührender Romeo-und-Julia-Unschuld. Übrig bleibt wenig mehr als eine politisch korrekte Geschichtsstunde, die wenig Neues erzählt.

Petras wollte mit diesem Abend unglaublich viel, sein Sendungsbewusstsein ist augenfällig. Vielleicht sind „Die Wohlgesinnten“ dafür einfach die falsche Vorlage.

Wieder am 29. September sowie am 7., 15., 21. und 26. Oktober.

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