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Kultur: Konrad R. Müller: Ich bin ein Menschenfotograf

"Wer interessiert sich heute für den Tod?" fragt Konrad R.

"Wer interessiert sich heute für den Tod?" fragt Konrad R. Müller. Adenauer fotografierte er 1966, die totgeborenen Siamesischen Zwillinge 1999.

Die Ausstellung "Terra Cognita" zeigt dreihundert Fotografien von Ihnen. Gibt es darunter ein Lieblingsbild?

Gibt es nicht. Aber es gibt Bilder, die mich selber erstaunen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel dieses Foto von Adenauer, das ich 1966 im Landtagswahlkampf in Nordrhein Westfalen gemacht habe. Unter freiem Himmel, bei Regenwetter, und er stand in einer Menschenmenge. Trotzdem hat es Rembrandtschen Charakter. Ich verstehe heute noch nicht, wie mir mit meiner armseligen kleinen Rolleiflex von 1935, die kein Teleobjektiv und keinen Belichtungsmesser hatte, so ein Foto gelungen ist.

Haben Sie Adenauer bewundert?

Das kann man wohl sagen. Allein schon seine Physis. Wenn Sie mit 25 Jahren einen Mann kennen lernen, der im 90. Lebensjahr steht und bis vor kurzem den wichtigsten Job ausfüllte, den die Republik zu vergeben hatte, dann müssen Sie begeistert sein. Mit 90 war Adenauer noch den ganzen Tag unterwegs im Wahlkampf. Er fuhr morgens um 8 in Rhöndorf los und kam um 12 in der Nacht zurück. Er war dann immer noch relativ fit, und ich konnte mich kaum mehr auf meinen Beinen halten. Ich bin glücklich, dass ich diesen Mann fotografiert habe. Damals bin ich von Berlin nach Bonn getrampt, obwohl ich keinen Pfennig in der Tasche hatte und in einer Jugendherberge übernachten musste.

Wissen Sie immer schon, ob das Foto gelungen ist, wenn Sie auf den Auslöser drücken?

Damals noch nicht. Heute weiß ich ganz genau, wenn ich etwas fotografiere, ob es meinen Ansprüchen genügt. Wenn nicht, gibt es kein Bild. Wenn das Licht nicht stimmt oder die Leute nicht so agieren, wie ich mir das vorstelle, dann mache ich kein Foto. Ich muss ja nicht, mich zwingt ja niemand. Der ungeheure Vorteil in meinem Beruf als freischaffender Künstler ist, dass ich machen und lassen kann, was ich will.

In der Öffentlichkeit sind Sie vor allem mit Ihren Kanzlerporträts bekannt geworden. Trotzdem mögen Sie es nicht, wenn man Sie einen Kanzlerfotografen nennt. Warum?

Weil der Begriff mehr oder weniger eine abhängige Position gegenüber diesen Leuten beinhaltet. Ich bin ein als künstlerischer Chronist, kein Leibfotograf, obwohl mir das immer wieder untergeschoben wird. Ein Leibfotograf ist jemand, der tagtäglich jede Regung seines Herrn und Meisters registrieren und davon ein Bild machen muss. Das bin ich natürlich nicht. Ich habe in meinem Leben keine einzige Minute abhängig gearbeitet. Meine Arbeit ist eine sehr temporäre Begleitung dieser Leute. Helmut Kohl, mit dem ich mich zehn Jahre beschäftigt habe, bin ich im Schnitt zwei Mal im Jahr begegnet. Mich interessiert die längerfristige Veränderung in der Physiognomie von Politikern. Jeder, der Macht ausübt, verändert sich optisch.

In welche Richtung?

Das Amt brennt sich in das Gesicht dieser Leute. Das ist ein Alterungsprozess. Gerhard Schröder hat mir neulich erzählt, er hätte sich auch in den kühnsten Träumen nicht ausmalen können, wie hart es ist, Bundeskanzler zu sein.

Das heißt: Sein Gesicht verhärtet sich?

Ja. Sehr große Verantwortung und permanent zu wenig Schlaf: Das hinterlässt Spuren. Für mich ist das Spannende, zu beobachten, wie dieses Amt das Gesicht eines Politikers verändert. Schon als junger Mensch lag mir daran, mir mein eigenes Bild von den Mächtigen zu machen. Ein Spitzenpolitiker wird heute millionenfach reproduziert, er ist jeden Tag in der Wohnstube der Normalbürger präsent, man hat ein virtuelles Verhältnis zu diesen Leuten. Man glaubt, diese Leute zu kennen. Mir reichte das nicht. Ich versuche, diese Leute für mich persönlich zu entdecken.

Zu welchem Kanzler hatten Sie das persönlichste Verhältnis?

Zu Willy Brandt. Ihn habe ich verehrt. Aber Brandt war ein äußerst schwieriger Mensch. Er konnte sich Anderen nicht nähern, es sei denn in lockerer Runde, da hat er wunderbare Geschichten erzählt. Aber ansonsten war er verschlossen und unnahbar. Unfähig, sich wirklich auf Menschen einzulassen. Sie müssen mal Leute fragen aus dem Ollenhauer-Haus, die jahrzehntelang für die SPD gearbeitet haben. Wenn sie Brandt auf dem Flur begegneten, haben sie entweder weggeguckt oder er hat durch sie hindurchgeschaut. In der Öffentlichkeit war er der Friedensnobelpreisträger, von vielen geliebt, von vielen gehasst. Dann trat diese junge Frau in sein Leben, Brigitte Seebacher. Sie hat den Rest an persönlichen Beziehungen, die er zu anderen Menschen hatte, gekappt. Ich möchte mich da gar nicht mit einbeziehen, ich war eine Randfigur. Ich glaube, dass Willy Brandt am Ende seines Lebens unendlich einsam war.

Hatten Sie nie die Angst, dass Ihre Nähe zu Politikern umschlagen könnte zu Kumpanei?

Nein. Das liegt, glaube ich, in meinem Charakter begründet. Ich könnte mich niemanden andienen. Ich lasse mich auch nicht vereinnahmen. Mir war es immer wichtig, freundschaftlich miteinander umzugehen. Das sieht man auch auf den Bildern, wenn sie gelingen. Wichtig war mir die nötige Distanz. Mit Helmut Kohl gab es den einen oder anderen Disput, weil er wusste, dass ich sozialdemokratisch oder grün wähle. Er hat mich öffentlich als "Soz" und "Beutelschneider" beschimpft, der auf seine Kosten Millionen verdiene. Ich habe dann einfach zurückgeflachst, und Kohl hat sich halb totgelacht. Das ist eine Gabe, die ich besitze, mit Menschen natürlich umgehen zu können. Bei Kohl hatten ja die Leute, die im Kanzleramt arbeiteten, schon feuerrote Gesichter, wenn sie sein Arbeitszimmer betraten. Sie sind vor Ehrfurcht fast im Boden versunken. Das ist keine Arbeitsatmosphäre, so kann man nicht miteinander umgehen: Der Eine ganz unten und der Andere ganz oben. Kohl hat das auch nicht sehr geschätzt, er mochte keine Liebedienerei. Unsere Zusammenarbeit war freundschaftlich und er hat mich wohl auch bewundert.

Wofür?

Für die Art, wie ich ihn dargestellt habe. Das ist ihm doch nie vorher und nie nachher widerfahren.

Und was, glauben Sie, war sein Interesse an dieser Beziehung?

Irgendwann war das Misstrauen weg. Der Kanzler hat in seinem Amtszimmer mit Staatsmännern telefoniert, und ich wollte aus dem Raum, aber er hat gesagt: Sie bleiben hier! Ich durfte mithören, weil er sicher war, das ich nichts weitergebe. In dem Moment, wo ich etwas weitergegeben hätte, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, hätte das unsere Zusammenarbeit beendet. Loyal und diskret zu sein, sind Hauptbestandteile meines Berufs.

Im letzten Bundestagswahlkampf haben sowohl Helmut Kohl als auch Gerhard Schröder mit Ihren Bildern geworben. Die Zeit schrieb von einem Wahlkampf "Müller gegen Müller."

Es gab ein SPD-Plakat mit einem Schröder-Foto von mir und es gab einen CDU-Fernsehspot mit alten Kohl-Fotos von mir. Aber das wussten beide. Schröder wusste, dass Kohl mit meinen Bildern arbeitete. Und Kohl kannte meine Schröder-Pakate.

Fühlen Sie sich vereinnahmt, wenn Sie eines Ihrer Fotos auf einer Plakatwand sehen mit einem Wahlspruch drüber?

Ich kann damit gar nicht so kritisch umgehen, wie Sie das vielleicht implizieren. Ich finde es nur einfach erstaunlich, dass diese beiden Herren in einem Land mit so vielen guten Fotografen ausgerechnet mich wollen. Vielleicht haben meine Bilder etwas, das andere Fotos nicht vermitteln. Ich habe mal ein Buch über Mitterrand gemacht, da war er anderthalb Jahre im Amt. Und als er viele Jahre später starb, haben fünf Verleger diese alten Fotos auf die Cover ihrer Bücher gebracht. Immer Konrad Müller. Das muss auch etwas mit der Andersartigkeit meiner Bilder zu tun haben.

Sie zeigen Menschen nie von ihrer hässlichen Seite. Sind Sie harmoniesüchtig?

Im Gegenteil, ich bin sehr streitlustig. Aber ich denke einfach, dass man Menschen, auch wenn sie in der Öffentlichkeit stehen, mit Würde entgegentreten sollte. Ich möchte niemanden diskriminieren. Es gibt ja auch subtile Kritik, die man mit einem Bild äußern kann. Wenn ich Helmut Kohl mit Strickjacke in seinem Amtszimmer fotografiere, hinter ihm das Aquarium und neben ihm die deutsche Flagge, dann sagt das doch unendlich viel über den Menschen Helmut Kohl. Wenn ich dann aber Francois Mitterrand im Elyseepalast an seinem Schreibtisch zeige, dann wird der Unterschied eben sichtbar. Da muss ich überhaupt nicht böse werden oder zynisch mit meiner Fotografie.

Neben Ihren Politikerporträts zeigen Sie nun auch zum ersten Mal Fotos, die Sie von den tot geborenen Embryonen aus der Medizin-Historischen Sammlung der Berliner Charité gemacht haben. Warum haben Sie diesen Bildern den Titel "Terra Incognita" gegeben?

Weil das etwas ist, mit dem wir nicht konfrontiert werden wollen. Wer interessiert sich denn heute für den Tod? Gehen Sie mal in ein Krankenhaus und schauen Sie, wie man dort mit den Sterbenden umgeht. Wir wollen das Hier und Jetzt genießen und bloß nicht konfrontiert werden mit igendetwas, das uns gemahnen könnte an unser Ende.

Diese Embryonen, die zum Teil entsetzlich verstümmelt sind, waren lebensunfähig. Sie nennen Sie trotzdem "Kinder".

Für Mediziner sind das einfach "Feuchtpräparate". Aber ich stelle mir ganz naiv vor: Es gibt zwei Menschen, einen Mann und eine Frau, die zeugen im Liebesakt ein Kind. Und egal, wie verstümmelt es ist, wenn es auf die Welt kommt, ist es für mich doch ein Kind. Deshalb habe ich diese Wesen aus ihrer Ausstellungsatmosphäre, wo sie in in ihren Gläsern nebeneinander standen, herausgeholt. Ich habe sie in einen Raum mit Tageslicht bringen lassen und dann einzeln fotografiert und zwar so, dass kein Glas zu sehen ist. Das hat ihre Gesichter zum Leben erweckt. Drei Tage habe ich mit diesen Kindern verbracht - zufälligerweise waren es die letzten Tage des letzten Jahrhunderts.

Was haben Sie dabei empfunden?

Ich sage jetzt etwas, was Ihnen gar nicht gefallen wird: Ich war total begeistert. Von Formen, die ich, ich bin ja ein Menschenfotograf, noch nie gesehen hatte. Ähnliches kannte ich nur aus der Kunst: zum Beispiel aus den Bildern von Hieronymus Bosch oder Goya. Und nachdem ich nun 35 Jahre lang vor allem die Terra Cognita fotografiert habe, will ich mich in Zukunft mehr mit der Terra Incognita beschäftigen.

Die Ausstellung \"Terra Cognita\" zeigt dreih, ert

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