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Kontrolleur bei der Gema: Der Hüter der Urheberrechte

Musik, überall Musik, doch zahlen will niemand dafür. Leute wie Maik Zimmermann haben einen unbeliebten Job. Er arbeitet für die Gema. Seitdem sie die Tarife geändert hat, tobt ein Kulturkampf.

Maik Zimmermann blickt noch einmal in sein schwarzes Ledermäppchen: Kaiserdamm 35, Berlin-Charlottenburg; neuer Inhaber. Er ist also richtig hier. Auch wenn es sein kann, dass der neue Inhaber der Tankstelle das nicht so sieht. Maik Zimmermann kennt das. Er kramt eine Visitenkarte heraus, wiegt sie in der Innenfläche seiner rechten Hand. Es ist heiß, erste Schweißperlen sammeln sich auf seiner Stirn. Sein blauweiß gestreiftes Hemd hat er einen Knopf zu weit geöffnet, das Feinrippunterhemd ist zu sehen. Maik Zimmermann betritt die Tankstelle, schaut in die Ecken, hört in den Raum hinein. Ein Summen kommt von rechts, das wird wohl der Kühlschrank sein. Er geht zur Kasse: „Guten Tag, Zimmermann mein Name, ich komme von der Gema.“

Der junge Mann schaut ihn einige Sekunden an und entgegnet schließlich: „Na und?“

Übergabe der Visitenkarte. Maik Zimmermann – Gema Bezirksdirektion Berlin, steht darauf. Das bedeutet, Zimmermann ist Außendienstler, einer von 200 in Deutschland, die für die Hüterin der Urheberrechte arbeiten. Er kontrolliert Kneipen, Fitnessstudios, Cafés, Tankstellen. Er will wissen, ob ein Radio läuft, ein Fernseher oder eine CD. Überall dort, wo Musik im öffentlichen Raum gespielt wird, treibt die Gema Geld ein. Zimmermann mag das Wort „Kontrolleur“ nicht. Er nennt sich „Berater“.

Der junge Mann hinter der Kasse, Blick auf die Visitenkarte, versteht noch immer nicht. „Aber was hat das mit der Tankstelle zu tun?“ Jetzt hören beide in den Raum hinein. Es ist still. „Wenn sich das ändert, kann Ihr Chef sich bei mir melden“, sagt Zimmermann und geht.

Video: Berliner Clubszene beschallt Gema

Für Termine wie diesen bekommt er eine kleine Pauschale. Sein Geld verdient er damit, dass ein neuer Kunde einen Vertrag unterschreibt. Seit 1996 arbeitet er im Außendienst der Gema, als Freiberufler auf Provisionsbasis. Eigentlich hat er Physik und Mathematik studiert, auf Lehramt, bis zum ersten Staatsexamen. „Aber für die Gema habe ich schon zu Studienzeiten gejobbt.“ Sein Vater war ebenfalls Außendienstler dort. Maik Zimmermann ist so etwas wie ein Überzeugungstäter in zweiter Generation.

Schon seit den 50er Jahren sammelt die Gema Gebühren von Leuten ein, die mit Musik Geld verdienen. Das Geld reichen sie weiter an ihre 65.000 Komponisten, Texter, Verleger. Wer wie viel erhält, regelt ein komplizierter Verteilungsschlüssel. Im letzten Jahr hat die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, so die offizielle Bezeichnung, gut 825 Millionen eingenommen. Über 700 Millionen hat sie an ihre Mitglieder ausgeschüttet. 15 Prozent streicht die Gema für ihren Bürokratie-Apparat ein. Von dem Geld bezahlt sie auch Maik Zimmermann. Vor der Tankstelle öffnet der jetzt sein schwarzes Ledermäppchen, zieht einen Kugelschreiber heraus und vermerkt: keine Musik. Seine Arbeit ist nicht einfacher geworden, seit die Gema im April dieses Jahres die neuen Tarifstrukturen veröffentlicht hat.

Heute führt ihn seine Tour nach Spandau. Er ist für den ganzen westlichen Teil Berlins zuständig. Ein Navigationsgerät besitzt er nicht, während der Fahrt tippt er immer wieder auf seinem iPhone herum. Sein VW-Golf ist ungewöhnlich aufgeräumt, kein Kuscheltier, kein Duftbäumchen. Nur das Nummernschild gibt etwas von ihm preis: B-SC. Zimmermann ist Hertha-Fan, auch sein einjähriger Sohn ist schon Mitglied. Die Hertha ist abgestiegen. Auch für die Gema hätte es im letzten Jahr besser laufen können.

Im Auto sitzt auch Gaby Schilcher. Sie gehört zum PR-Team der Gema, ist extra aus München angereist, um Zimmermann auf der heutigen Tour zu begleiten, zu unterstützen. Die beiden geben ein ungleiches Paar ab. Zimmermann, Ur-Berliner, rotblonde Haare, den Bart um den Mund ordentlich gestutzt. Er könnte der Bruder von Boris Becker sein, ist nur kleiner und leicht untersetzt. Schilcher, einen guten Kopf größer, die Sonnenbrille in die blonden Haare gesteckt, rollt das „R“, wie man es in Süddeutschland tut. Sie lacht viel und redet noch mehr. In erster Linie über die Gema. Seit zwölf Jahren arbeitet sie in der PR-Abteilung. Vorher war sie in gleicher Funktion beim SOS-Kinderdorf. „Ich arbeite viel lieber für ein gutes Unternehmen mit schlechtem Image als andersherum“, sagt sie.

Da ist sie bei der Gema goldrichtig, wie es scheint. Das Image ist ruiniert. Die Verwertungsgesellschaft rangiert auf der Unbeliebtheitsskala irgendwo zwischen Ordnungsamt und GEZ. „Wir machen unsere Arbeit verdammt gut“, sagt Schilcher. Sie war überrascht von der heftigen Reaktion auf die Tarifänderungen. Dabei habe die Gema doch nur auf die Kritik reagiert, wollte das Tarifsystem vereinfachen, von elf auf zwei Kategorien. Sie wollte alles gerechter machen. Kleine Clubs und Kneipen entlasten, die Großen zur Kasse bitten. Schilcher beschreibt die Gema als eine Art Robin Hood. Warum nur sind sie in der öffentlichen Wahrnehmung immer der Sheriff von Nottingham?

Ein Shitstorm, auf den die Verwertungsgesellschaft nicht vorbereitet war

Es mag daran liegen, dass sich das Geschäft der Gema grundlegend verändert hat – ebenso wie der Umgang mit Urheberrechten überhaupt. Bis in die 90er Jahre hinein waren es vor allem CD-Verkäufe, die Geld in die Kassen derjenigen spülten, die die Musik geschrieben hatten oder sie verbreiteten. Die digitale Revolution mit dem Aufkommen neuer Speichermedien und von Filesharing-Software hat diese Verkaufszahlen einbrechen lassen. Der weltweite Umsatz der Plattenfirmen hat sich seit der Jahrtausendwende halbiert. Gleichzeitig gibt es immer mehr Musik im öffentlichen Raum. Wurde Musik früher in erster Linie im privaten Rahmen gehört, im heimischen Wohnzimmer oder Partykeller, wird mittlerweile jeder Friseur, jeder Imbiss beschallt. Musik ist ein Verkaufsargument. Eine Studie aus Frankreich will sogar herausgefunden haben, dass laute Musik zu schnellerem Trinken anregt. Doch die Gema-Abgaben für Diskotheken und Clubs sind seit 20 Jahren gleich geblieben. Daran musste sich etwas ändern, wenn die Komponisten und Texter ein Auskommen haben wollten.

Seit Jahren, sagt Schilcher auf der Rückbank von Zimmermanns VW-Golf, sei das Thema Diskotheken durch die Flure der Gema gegeistert. 2007 begannen die Verhandlungen mit dem deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Im März dieses Jahres stieg der aus. Es sei ihnen immer ein Anliegen gewesen, Konsens mit den Verbänden zu erreichen, sagt Schilcher. Das hat dieses Mal nicht funktioniert. Statt einzuknicken, hat die Gema die neuen Tarife durchgedrückt.

In Bildern: Proteste gegen die neuen Gema-Gebühren

Es folgte ein Shitstorm, auf den die Verwertungsgesellschaft nicht vorbereitet war. Clubbetreiber kündigten an, ihre Läden zu schließen. Von Erhöhungen bis zu 2000 Prozent war die Rede. Es gab zig Demonstrationen, eine Online-Petition an den Bundestag haben mittlerweile 266.000 Menschen unterzeichnet. Politiker, Medien – alle haben sich auf die Seite der Clubbetreiber geschlagen.

Der Streit ist zu einem Kampf Gut gegen Böse geworden. Die Rollenverteilung ist eindeutig. Hier die guten Clubbetreiber, modern, offen, cool. Dort die Gema, der Monopolist, die hoffnungslos rückständige Verwertungsgesellschaft, die auch nur jene bevorteilt, die schon reich und etabliert sind. Die Dieter Bohlens, Grönemeyers. Ein Blick auf den Fragebogen zur „Musikfolge“, den Bands aber auch DJs bei einer Veranstaltung auszufüllen haben, zeigt die Diskrepanz deutlich. Man muss etwa den „Namen der Kapelle“ eintragen, angeben, um was für eine Veranstaltung es sich handelt – „Tanz“ oder doch eher „Gesellige Veranstaltung“. Hip ist was anderes.

Auch die tägliche Arbeit von Maik Zimmermann hat wenig mit der Hipness einer Nacht zu tun, wie man sie im Berliner Berghain-Club erleben kann. Das mag an Spandau liegen, aber nicht nur. Heute hat sich Zimmermann die Seegefelder Straße vorgenommen. In seinem Ledermäppchen stehen die Adressen der Cafés, Friseure, Bäckereien und Imbissbuden. Etwa alle drei Monate wiederholen sich seine Touren. Im Café „Die Leckerei“ wurde bisher keine Musik gespielt. Er will sehen, ob sich daran etwas geändert hat, ob ein Radio läuft oder ein Fernseher, jetzt, da die Olympischen Spiele im Gange sind. Zimmermann, mit Visitenkarte im Anschlag, setzt an: „Guten Tag, Zimmermann mein Name, ich komme von der Gema, sind sie der Herr Birdal?“

„Ja, ich habe keine Musik, will ich auch nicht. Ich mache die Gema nicht reicher.“

„Würde ich auch nicht machen.“ Ein Gast, der hinten im Café sitzt, mischt sich ein. Der Inhaber ruft: „Der deutsche Staat macht die Kleinunternehmer kaputt.“

Zimmermann lässt seine Visitenkarte da und wendet sich zum Gehen. Die Gema sei nicht das Problem, sagt er vor der Tür. Die Leute hätten kein Geld, machten nicht genug Umsatz. „Ob ich von der Gema komme oder von einer Behörde, die Geld haben will, weil die Stühle vor dem Café stehen – alle wollen Geld, und er hat nicht genug davon.“

Zimmermann geht die Seegefelder Straße hinauf. „Siebenundvierzig, achtundvierzig, zweiundfünfzig.“ Er stutzt. Hausnummer siebenundfünfzig. Ein türkischer Imbiss, Bistro Kübra, am Schaufenster in gelben Lettern das Wort: Neueröffnung. Nicht auf seiner Liste. Zimmermann kramt eine Visitenkarte aus dem Ledermäppchen und schleicht sich an.

Im Innern flimmert ein Fernseher, lautlos. Dazu plärrt ein Radio, Nachrichten. Zimmermanns Gesicht hellt sich auf. Der Besitzer ist nicht da. Zimmermann überreicht seine Visitenkarte, erklärt, was TV und Radio kosten würden, nämlich 390 Euro im Jahr, und schon ist er wieder draußen. „Das war jetzt gut“, sagt er, notiert sich Datum, Zeit und Adresse. Wenn sich der Besitzer nicht meldet, wird Zimmermann ihn bald besuchen. Mit einem unterschriftsreifen Vertrag im Ledermäppchen.

Der nächste Halt, ein thailändisches Nagelstudio. Die Inhaberin feilt gerade die Nägel einer älteren Kundin. Ansonsten ist es still. „Wer sind Sie?“, fragt sie.

„Zimmermann, ich komme von der Gema.“

„Ich habe schon einen Vertrag bei Kabel Deutschland“, sagt sie, da sei der Fernseher dabei. Maik Zimmermann klärt sie auf, sagt, was die Gema ist. Sie überlegt. „Im Hinterzimmer könnte ich also Filme schauen, nur nicht im Verkaufsraum?“

Zimmermann nickt. Die Inhaberin lacht plötzlich auf. „Dann schauen wir hinten jetzt immer Porno-Filme“, sie stupst ihre Kundin an, die mit einsteigt. Zimmermann lächelt. Die Kundin will wissen, ob es nicht einen Preis für alles gebe, „so eine Art Flatrate“. Zimmermann schüttelt den Kopf, geht hinaus und sagt: „Das war jetzt ein netter Termin.“ Die Frauen im Nagelstudio lachen noch immer über den Porno-Witz.

Normalerweise ginge das jetzt den ganzen Nachmittag so weiter. Mindestens fünf Kilometer legt Zimmermann am Tag zu Fuß zurück. Heute aber ist es zu heiß, außerdem möchte Gaby Schilcher etwas essen. „Gut“, sagt Zimmermann. „Ich brauche eh zwei Tage, um den heutigen aufzuholen.“ Bei Salat und Wasser entspinnt sich eine Diskussion über das Image der Gema. Schilcher hat aufgehört zu zählen, wie viele Interviews sie in den letzten Wochen gegeben hat. Fünf PR-Mitarbeiter sind bei der Gema angestellt, dagegen stehen 2000 Clubbetreiber in Deutschland, die Alarm schlagen.

Ein Streit, bei dem die Fronten verhärtet sind

Einer, der besonders laut gegen die Gema wettert, ist Matthias Roeingh alias Dr. Motte, DJ und Erfinder der Love Parade. Beim diesjährigen DJ-Meeting im Mai in Dortmund nannte er die neuen Tarife einen „Skandal“. Die Gema, sagt er am Telefon, „das ist für mich ein ganz zwielichtiger Verein“. Er fürchtet, dass die Berliner Clubkultur zerstört würde. „Watergate, Berghain und Cookies – die machen alle im Januar dicht, wenn das durchgehen sollte“, fürchtet er.

Doch raubt die neue Tarifreform Clubs wie dem Berghain wirklich die Existenz? Bruno Kramm von der Piratenpartei, der mit dem Cowboyhut, hat bei einer der Demonstrationen gegen die Gema im Juni ins Mikrofon gerufen: „Clubs wie das Berghain müssen nach der Reform nicht mehr 30.000 Euro, sondern 300.000 Euro zahlen.“ Das hört sich natürlich erst einmal nach viel an. Die Gema will zehn Prozent des Eintrittspreises von den Clubbetreibern. Bei dieser Rechnung käme das Berghain im Jahr allein auf drei Millionen Euro Eintrittsgelder. Glaubt man dem Bundeswirtschaftsministerium, machen die Eintrittsgelder nur 20 Prozent des Umsatzes aus, der Rest kommt über den Getränkeverkauf rein. Als Umsatz könnten dem Berghain am Ende des Jahres demnach 15 Millionen zu Buche stehen.

Gaby Schilcher mag solche Rechenbeispiele, sie wünscht sich eine Versachlichung der Diskussion. „Ein Kneipier bezahlt für seinen Tisch, seine Stühle, das empfindet er als völlig normal. Nur für die Musik, für die will er nicht zahlen.“

Schilcher hat das Tisch-und-Stühle- Beispiel an diesem Tag oft wiederholt. Sie sagt, dass die kleineren Clubs und Gaststätten zufrieden seien mit den Änderungen, „nur die bleiben halt still“. Es sei nicht cool, sich für die Gema einzusetzen. Darum hat es sie umso mehr gefreut, als Sven Regener, Autor und Frontmann von Element of Crime, im Bayerischen Rundfunk Partei ergriff. „Es wird auf uns Musikern herumgetrampelt, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben. Das ist im Grunde nichts anderes, als uns ins Gesicht zu pinkeln.“ Fünf Minuten dauert Regeners Wutrede. Auch das Image-Problem der Gema spricht er an. „Die Gema, das sind im Grunde wir, die Urheber. Das Problem ist nur, dass einem als Musiker nichts Schlimmeres passieren kann als uncool zu werden. Darum ziehen alle den Kopf ein und sehen zu, wie unsere Branche den Bach heruntergeht.“

Geht es wirklich nur um cool oder uncool? Oder belügt sich hier eine Gesellschaft über die Grundlagen ihrer Kultur?

„Es mag ja sein, dass wir für die Clubbetreiber nicht cool genug sind. Aber die sitzen in ihrem Elfenbeinturm und halten sich für den Nabel der Welt“, sagt Schilcher. Dass es auch ganz anders geht, zeige die Einigung, die die Gema im Tarifstreit im Juli mit dem Bund Deutscher Karneval erzielt habe. Dabei wurden durchaus Zugeständnisse gemacht.

Dr. Motte nennt solche Deals einen „Missbrauch zwischen Tür und Angel“. Es würden Rabatte versprochen und auf schnelle Einigungen gesetzt. Für Schilcher nur ein Beleg der Arroganz. Im Jahr gebe es eine Million Einzelveranstaltungen mit Musik. Dem stehen 2000 Clubs gegenüber.

Es ist ein Streit, bei dem die Fronten verhärtet sind. Dort das Berliner Nachtleben, das nicht Dieter Bohlen mitfinanzieren will, hier der Bürokratentempel Gema. Ein ungerechter Kampf, den Maik Zimmermann jeden Tag austrägt. Wenn er die Läden abklappert mit seinem Ledermäppchen. Maik Zimmermann, der sagt, dass man die Arbeit korrekt machen müsse, anders gehe es nicht. Der nicht in Clubs geht und auch nicht auf Konzerte, der auf die Frage nach seiner Lieblingsmusik „Pop und Rock“ antwortet, aber „altersgerecht“. Maik Zimmermann ist alles, was die Gema ist: korrekt, bemüht, prinzipientreu und weit davon entfernt, cool zu sein.

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