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Wo geht es hin? Die Berliner Baustelle mit einer für das große Portal im Schlüterhof bestimmten Kolossalfigur.

© Kitty Kleist-Heinrich

Unklares Profil des Humboldt Forums in Berlin: Humbug oder Humboldt?

Die jüngste Kolonialismus-Debatte ist eine Falle. Und eine zündende Idee für das Humboldt Forum steht weiter aus.

Er ist eine der Gründungsfiguren der kulturellen Moderne. Als Genie hat Arthur Rimbaud mit seinen im Alter von 16, 17 Jahren verfassten Gedichten die Weltpoesie revolutioniert. Er sagte von sich „Ich notiere das Unsagbare“, und sein Bekenntnis „Ich ist ein Anderer“ gilt seit anderthalb Jahrhunderten auch als ein Schlüsselsatz menschlicher Existenz.

Mit 19 Jahren fasste Rimbaud den geheimnisvollen Entschluss, keine Gedichte mehr zu schreiben. Und er, der den Aufstand der Pariser Kommune unterstützt hatte und ein Exempel der antibürgerlichen, (homo)sexuellen Befreiung war, er ging nach Afrika. Rimbaud wurde dort Geschäftsmann, Waffenhändler, besaß einen Harem und war in Äthiopien und Somalia in den Sklavenhandel verstrickt. Rimbauds Schicksal, er starb mit gerade 37 Jahren an den Folgen einer Beinamputation, ist die Geschichte eines Idols: zwischen Kunst, Politik, Kriminalität und Kolonialismus.

Das Beispiel lehrt manches, auch für die anhaltende Debatte um den Sinn des Berliner Humboldt Forums. Eigens nochmal angestoßen wurde sie durch die an der TU Berlin und am Collège de France lehrende französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die soeben den Expertenbeirat des Humboldt Forums verlassen hat und ihren Schritt in einem Protest-Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ zu begründen suchte.

Ein Vorwurf ist die mangelnde Provenienzforschung

Hauptvorwurf der renommierten Wissenschaftlerin an das Humboldt Forum ist, neben den von ihr so empfundenen internen Verkrustungen, die angeblich mangelnde Provenienzforschung an den ab 2019 im Humboldt Forum zu sehenden Exponaten der bis vor Kurzem in Berlin-Dahlem bewahrten Sammlungen des (Afrika-basierten) Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Savoy bezweifelt in ihren etwas sprunghaften Äußerungen, dass das in der Hülle des teilrekonstruierten Hohenzollernschlosses angesiedelte Forum derart „der Kolonialismusdebatte“ werde „standhalten können“. Denn, so Savoy: „Für mich ist es weniger wichtig zu wissen, welche Funktion ein Gegenstand in Namibia hatte, als zu erfahren, wie er hierher gekommen ist. Ich will ja auch wissen, woher mein Steak kommt.“

Abgesehen von dem recht konsumistischen Vergleich, verrät das Zitat, das eigentlich Kolonialismus-kritisch gemeint ist, eine bemerkenswerte postkoloniale Anmaßung gegenüber der kulturellen (oder kultischen) Bedeutung eines afrikanischen Objekts. Einmal in Rage geredet, meint Savoy noch: „Ich möchte wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“.

Hinter allen Fragestellungen und bei aller Kritik am bisher unklaren Profil des Humboldt Forums, das Bund, Land und die federführende Stiftung Preußischer Kulturbesitz als ambitioniertestes Kulturprojekt Deutschlands begreifen, vermengen sich nun mehrere Debatten-Themen. Verständlich ist dabei die Ungeduld angesichts eines noch immer fehlenden detaillierteren Konzepts für das H-Forum. Diverse Rahmen- und Diskussionsveranstaltungen und erste kleine, enttäuschende Explorativ-Ausstellungen wie derzeit in der „Humboldt-Box“ die Schau „Vorsicht Kinder!“ schüren eher die Skepsis.

Zudem wurde der Vertrag des Gründungsintendanten Neil MacGregor gerade bis 2019 verlängert; auf ihn setzt vor allem Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Aber der 71-jährige gebürtige Schotte und vormalige Direktor des British Museums in London hat eigentlich nur einen Beraterjob, er ist zehn Tage im Monat in Berlin und arbeitet sonst noch für die BBC und an der Entwicklung eines Museums im indischen Mumbai.

Die humboldthafte Verknüpfung von europäischen und außereuropäischen Kulturen

Bislang weiß die interessierte Öffentlichkeit über die geistige Gestalt des geplanten Forums nicht viel mehr, als dass sie sich in der generalistischen Idee einer humboldthaften Verknüpfung von europäischen und außereuropäischen Kulturen manifestieren soll. Humboldts Erbe als kosmopolitischen Anker im Strom der Globalisierung. Gleichzeitig rätselt man angesichts der immensen Flächen im ersten Stock des Schlossbaus, wie diese „Beletage“ im wesentlichen durch eine Berliner Selbstdarstellung geprägt werden soll, für deren Gesicht nun Paul Spies, der aus Amsterdam gekommene neue Direktor des Berliner Stadtmuseums, zuständig ist.

In einem kürzlich präsentierten Gesamtkonzept für immerhin fünf bereits bestehende Ausstellungsorte des Stadtmuseums gibt es auf 95 Seiten freilich nur eine Textseite, auf der die nochmal rund 5000 Quadratmeter Fläche im Humboldt Forum mit kuratorendeutschen Sätzen wie diesem bedacht werden: „Berlin steht dabei Pars pro Toto für die Vielfältigkeit von Metropolen und ihre komplexen dynamischen Beziehungen mit der Welt.“

Der bisher einzige Halt im Meer der Fragen ist also dieser: In der zweiten Schlossetage soll man die Dahlemer Sammlungen in neuer Aufbereitung erleben. Aus der städtischen Peripherie rund drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Berlins zurück ins Zentrum gerückt und topographisch nahe den Kollektionen auf der Museumsinsel und dem gegenüber gelegenen Alten Museum. Aus diesem Verbund erträumt man sich dann so etwas wie „unseren Louvre“.

Genau an diesem einzigen Punkt einer vermeintlichen Gewissheit aber rüttelt und krittelt nicht nur Bénédict Savoy. Vor dem Hintergrund der nie ganz ausgestandenen Debatte um die äußere Rekonstruktion des Schlosses – mit allen denkbaren Einwänden etwa angesichts der plumpen Rasterarchitektur der Ostfassade des Architekten Franco Stella – verbindet sich der Affekt gegenüber einem vermeintlichen Feudalbau mit einer „Kolonialismusdebatte“ wider die einstigen Dahlemer Sammlungen.

Alle Weltreiche beruhen auf Kolonisation

Das wirkt, als ginge es hier um einen nur älteren, größeren Fall Gurlitt und um nichts als „Raubkunst“. Dazu passt auch die neuerliche Aufregung beispielsweise über Straßennamen in Berlins „Afrikanischem Viertel“. Wer dabei zur Differenzierung mahnt, sollte gewiss erstmal klarstellen: Die Namen einiger deutscher Kolonisatoren, zumal wenn sie mit dem Völkermord an den Hereros und Namas im früheren Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) zu tun hatten, wären längst zu tilgen gewesen. Und gegenüber Nachfahren der Opfer, die heute vor Gericht um eine Entschädigung streiten, hätte die Bundesregierung großzügiger als mit dem Verweis auf ihre formale völkerrechtliche Nichtverpflichtung reagieren können, ja müssen.

Indes ist auch das zu bedenken: Die Kolonialgeschichte des Deutschen Kaiserreichs währte gerade 30 Jahre. Die gesamte Weltgeschichte aber ist auch eine der Kolonisationen. Alle Weltreiche beruhen auf ihr. In Europa beginnt das mit dem antiken Großgriechenland und dann mit den Eroberungen der Römer, denen, weit über den Mittelmeerraum hinaus, auch wir einen Teil unserer Kultur verdanken. Und bedenkt man, was seit der Entdeckung Amerikas an Kolonisation, Ausbeutung, Sklaverei und Völkermord stattgefunden hat, was die fast völlige Besetzung und Unterwerfung Afrikas und Teilen Asiens durch die europäischen Mächte im 19. Jahrhundert bedeutete, dann müssten auch die Museen in Lissabon, Madrid, London oder Paris, in Turin, Brüssel oder Sankt Petersburg viele ihrer Schätze restituieren. Der mit gruseligste Fall, die mörderische Versklavung und Ausbeutung von Belgisch-Kongo, zum Ende des 19. Jahrhunderts im Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II., ist nicht zuletzt durch Joseph Conrads auf Augenzeugenschaft beruhende, später verfilmte Erzählung „Das Herz der Finsternis“ bis heute berühmt.

Die Dahlemer Schätze in einer Art Selbstgeißelung vorzuführen ist wenig sinnvoll

Trotzdem steht das Reiterstandbild von Leopold II., einem raffgierigen Massenmörder, noch immer in Brüssel. Und man darf gespannt sein, in welchem konzeptionellen Gewand das schon längere Zeit geschlossene Königliche Museum für Zentral-Afrika im kommenden Jahr in Brüssel wiedereröffnet wird. Es wurde 1897 für eine Weltausstellung von jenem Kongo-Leopold gegründet und steckt eigentlich voller Raubgut. Wie auch das zuvor von Neil MacGregor geleitete Britische Museum in London. Aber auch die Historie des Commonwealth, eine reine Kolonialgeschichte, lässt sich im Museum bestenfalls kommentieren. Nicht rückgängig machen.

Die Dahlemer Schätze künftig nur voller Sündenstolz in einer Art Selbstgeißelung vorzuführen, wäre mal wieder ein deutscher Sonderweg. Ein Fall fürs Humbug-Forum. Was sich anbietet, ist dagegen ein offener, auch in Berlin geführter Dialog mit (post)kolonialen, verwandten Museen wie eben in Brüssel, in London oder dem Musée du quai Branly in Paris. Und zu bedenken, dass es in Kultur und Geschichte Gestalten gibt wie einst Arthur Rimbaud – und Kolonialismus statt Verbrechen oft auch den Bau von Schulen, Krankenhäusern, Verkehrswegen und durch westliche Archäologen und Sammler die Bewahrung des Erbes sonst längst versunkener Kulturen und Kunstwerke bedeutet hat. Die im postkolonialen Diskurs prägende, aus Kalkutta gebürtige und in New York lehrende Kulturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak nennt Kolonisation in deren Widersprüchlichkeit darum auch: „enabling violation“, eine „befähigende Verletzung“. Das hätte auch Humboldt sagen können.

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