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Laut und luftig. Beim Open House vor Beginn der Kulturradio-Kinderkonzerte dürfen alle mal probieren, ob Harfe, Kontrabass oder Trompete.

© rbb/Thomas Ernst

Konzert für Flüchtlingskinder: Lindenbäume? Zitronenbäume!

Das Konzert zum 10. Geburtstag der Klassik-für-Kids-Reihe des RBB-Kulturradio ist ein besonderes: Mehrere hundert Flüchtlingskinder sitzen bei der "Römischen Reise" im Saal, moderiert wird auch auf Arabisch.

Bildung. Es hilft nur Bildung, sagt der Franzose samstags am Bistrostand in der Markthalle, mit dem man zufällig ins Gespräch gekommen ist. Der Islam sei schuld, schimpft er, verteidigt erregt den französischen Laizismus und nennt uns Deutsche naiv, wenn wir glaubten, die Attentate von Paris hätten nichts mit den Flüchtlingen zu tun. Entgeistert verwahrt man sich gegen die pauschale Gleichsetzung von Terror und Muslimen und weist darauf hin, dass viele Asylsuchende ja vor eben der Gewalt fliehen, die am Freitag auch Paris erreicht hat. Wie kommt es, dass junge Männer zu Mördern und Selbstmordattentätern werden? Wenigstens auf die Dringlichkeit von Bildung und Erziehung können wir uns einigen. Auch wenn es angesichts der brutalen Anschläge etwas wohlfeil klingt.

Trompete blasen: Vor allem die Flüchtlingskinder probieren voller Mumm Instrumente aus

Was kann Bildung, was kann Kultur ausrichten? Sonntagmittag, Großer Sendesaal im Haus des Rundfunks: Die Kulturradio-Kinderkonzerte mit dem Deutschen Symphonie-Orchester feiern Geburtstag, vor exakt zehn Jahren startete die Reihe mit moderierten Klassikkonzerten für Kids. Regelmäßig geht ihnen fabelhaft ohrenbetäubender Lärm voraus, denn vor Konzertbeginn können die jungen Besucher selber fiedeln und blasen, überall im Haus drücken gut gelaunte Orchestermusiker den Kids ihre Instrumente in die Hand, lassen sie Fagotte, Posaunen, Geigen, Harfen und natürlich die Kesselpauke traktieren, äh: ausprobieren. Auf dem Jubiläums-Programm steht Ottorino Respighis Tondichtung „Pini di Roma“ (die das DSO am Freitag bereits in der Philharmonie präsentierte); zur römischen Reise sind auch hunderte Flüchtlingskinder mit ihren Familien oder Betreuern gekommen, auf Einladung des Senders. Christian Schruff moderiert diesmal gemeinsam mit Raed Jazbeh; der syrische Kollege, von Haus aus Kontrabassist und Gründer des Syrian Expat Philharmonic Orchestra, kam 2013 aus Aleppo nach Berlin.

Con sordino. Kinderkonzerte-Moderator Christian Schruff (r.) erklärt gemeinsam mit seinem syrischen Kollegen Raed Jazbeh das Geheimnis der Dämpfer bei den Streichinstrumenten. Sieht aus wie ein Kamm, drauf auf die Saiten und schon wird's schön leise. Jazbeh ist selber Kontrabassist, er stammt aus Aleppo, kam 2013 nach Deutschland und gründerte hier das Syrian Expat Philharmonic Orchestra.
Con sordino. Kinderkonzerte-Moderator Christian Schruff (r.) erklärt gemeinsam mit seinem syrischen Kollegen Raed Jazbeh das Geheimnis der Dämpfer bei den Streichinstrumenten. Sieht aus wie ein Kamm, drauf auf die Saiten und schon wird's schön leise. Jazbeh ist selber Kontrabassist, er stammt aus Aleppo, kam 2013 nach Deutschland und gründerte hier das Syrian Expat Philharmonic Orchestra.

© rbb/Thomas Ernst

Schönes Experiment, wildes Zusammensein. Schon bei der Open-House Stunde legen viele arabische Kids sichtlich mehr Mumm und Verve an den Tag als die deutschen Kinder, wenn es darum geht, der Trompete oder der Oboe Töne zu entlocken. Das Haus vibriert vor Energie, der Geräuschpegel im Saal liegt deutlich höher als sonst. Nicht leicht für die Moderatoren, nicht einfach bei den vom DSO unter Leitung von Marcelo Lehninger bei aller Unruhe mit eindringlichem Zauber vorgetragenen Ausschnitten aus den bassgrundtiefen Pianissimo-Passagen von Respighis zweitem Satz, „Pinien nahe einer Katakombe“. Dort saßen einst ebenfalls verfolgte, flüchtige Menschen, damals waren es die Christen, Respighi lässt sie sich Mut ansingen. Der gemeinsame Gesangsversuch im Sendesaal will zwar nicht recht gelingen, der Bitte, doch auch die Bäume ihrer Heimatländer zu nennen, kommen die Flüchtlingskinder dafür umso leidenschaftlicher nach. Apfelbäume! Olivenbäume! Zitronenbäume! Elysische Landschaften – man vergisst es leicht vor lauter Kriegsbildern. Und was fällt euch zu den von Respighi vertonten Kinderspielen unter den Bäumen mit den breiten Kronen ein? „Fußball!,“ rufen die deutschen, „Verstecken!“ die syrischen Kids.

Rom? Das Reich war mal so groß, dass es die Syrer und die Germanen einschloss

Das Hin- und Her-Übersetzen strapaziert ihre Geduld: Gemeinsamkeiten suchen, den Perspektivwechsel probieren, das kann mühsam sein. Aber es ist kostbar angesichts eines Terrors, der die Zivilgesellschaft zu spalten versucht. Die Moderatoren sagen es so: Vor gut 2000 Jahren war das Römische Reich so groß, dass es die Germanen ebenso einschloss wie die Syrer. Alle Wege führen nach Rom: Im Respighi-Finale geht auf der Via Appia die Post ab. Mächtiges Crescendo mit Gongschlag, Shokran, fortissimo mit Johlen und Pfeifen.

Das nächste Kulturradio-Kinderkonzert findet am 20.12. statt, gemeinsam mit der Klasse 5a der Stechlinsee-Grundschule, Friedenau. Auf dem Programm steht Korngolds Ballettmusik "Der Schneemann".

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