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Babyshambles

© DAVIDS/Pedersen

Konzert: Vergiss die Ewigkeit

Er war wirklich da: Pete Doherty und die Babyshambles geben in Berlin ein mieses großes Rockkonzert. Ob die Töne stimmen? Bei dieser Band spielt das keine Rolle.

Was ist das nun wieder für ein schlechter Scherz? Pete Doherty betritt tatsächlich pünktlich die Bühne der Berliner Columbiahalle. Er schnappt sich seine Rickenbacker-Gitarre, auf die auch John Lennon zu Beginn seiner Karriere geschworen hatte, und schüttelt lässig die ersten Akkorde aus dem Handgelenk. Kann das sein? Sollte es wirklich ein stinknormaler Auftritt werden? Ja, es wird ein mieses kleines Rockkonzert.

Pete Doherty ist als Persona weit über das Kleinfomatige seines musikalischen Entwurfs hinausgewachsen. Er erfüllt das Versprechen des Popstars, die Musik mit etwas aufzuladen, das weiter reicht. Man merkt es an dem entfesselten Gekreische der Mädchen, das sich am Bühnenrand erhebt, als er sich einmal über die Rampe hinauswagt. Teenies sind zwar im Publikum nicht sonderlich stark vertreten, aber sie wissen, wo man sich hinstellen muss. Doherty verkörpert den Glamour des Kaputten, die noble Grandezza des Scheiterns, was simple Gemüter gerne mit dem Leben verwechseln. Aber die schlichte Tatsache, dass Doherty sich einfach nicht in den Griff kriegt und zu einer Art Skandal-Surfer seiner Scheiß-egal- Mentalität geworden ist, heißt nicht, dass seine Musik echter wäre. Sie geht nur geschickter mit den Lücken um, die das eigene Unvermögen, Drogensucht und unvermeidliche Unpässlichkeiten in die musikalischen Abläufe reißen.

Doherty mag clean sein, jetzt. Den Verfall hat er zum Prinzip erhoben und kommt über sein Publikum wie jemand, der in einem dunklen Zimmer das Licht anmacht – plötzlich sieht man, wie schockierend bieder Rock’n’Roll möbliert ist. Aber auch Doherty scheint nicht zu wissen, ob er die Einrichtung zertrümmern oder doch lieber alles so lassen soll.

Jedenfalls ist er mal da. Als er die schlingernden Riffs von „Carry on up the Morning“ aus den Saiten fingert, dass es spratzt und quiekt, geht ein Beben durch die ausverkaufte Halle. Genau so beginnt auch das zweite Babyshambles-Album „Shotter’s Nation“, das endlich im Herbst letzten Jahres und nach nicht enden wollenden Boulevard-Eskapaden des Frontmanns demonstrierte, wie viel wirklich in dieser Band steckt. Dohertys Talent, intuitiv gute Rocksongs zu schreiben, genügte Produzent Stephen Street nicht. Statt den Rohdiamanten schon für etwas anderes als roh zu halten, schliff ihn der Mann hinter The Smiths, Blur und Kaiser Chiefs. Und plötzlich zerfielen die Songs der Babyshambles nicht mehr in einen vielversprechenden Auftakt und den ermüdenden Rest.

An diesem Abend ist das Ungestüme wieder da. „Here comes a delivery straight from the heart of my misery“, singt Doherty mit rauer Stimme. Das wollen seine Songs sein: Botschaften aus dem Herz der Finsternis. Da spielt es keine Rolle, ob ein Break exakt gesetzt ist, ob die Töne stimmen und das Tempo noch dasselbe wie im Probenraum ist. Das ganze Gedengel und Geschrubbe der vierköpfigen Band ist eine Séance, ein Abtauchen in musikalische Urströme, die vom Zitat noch unberührt sind.

Obwohl die Babyshambles mit ohrenbetäubendem Lärm durch ihre launischen Arrangements rumpeln, bleiben sie erstaunlich transparent. Selten schalten Doherty und Kompagnon Mick Whitnall Effektgeräte dazu. Ihre Pling- Plang-Gitarren winden sich umeinander, verkrallen sich in Dissonanzen, dass es gleich zu Beginn der einstündigen Krachorgie einen Hochtöner erledigt – was klingt, als würde ein Heuschreckenschwarm in einen Ventilator fliegen. Egal, auch das gehört dazu, wenn etwas entfesselt werden soll, das wirklich Bedeutung hat.

Es ist wahr: Die Babyshambles präsentieren sich nicht als Virtuosen. Sie legen ihre Fehler und Unzulänglichkeiten auf den Tisch, weil das kunstvoll Kultivierte viel tödlicher ist als jeder Lapsus. So erobern sich Doherty & Co. ein Terrain, das wie ein Königreich ist: Sie können einfach nichts mehr verkehrt machen. Gleichgültig, was sie anstellen.

Versteht man nun, warum Doherty als das größte musikalische Talent seiner Generation verehrt wird? Selbst gewöhnliche Rocksongs wie „You Talk“, „Unstookie Titled“, „Baddie’s Boogie“ oder „Fuck Forever“, die den zweiten Teil des Konzerts prägen, vermitteln ein traumwandlerisches Gespür für Timing und Atmosphäre. Statt sich triumphal ins Getöse zu verabschieden, hält die Band an dem räudigen Fleckchen Erde fest, auf dem sie steht – unter einem ständigen Bombardement von T-Shirts und Bierbechern, sogar der Union Jack wird auf die Bühne geworfen.

Früher wären es Slips gewesen. Aber als sexualisierter Traumkörper hat der Rockstar ausgedient. Doherty hat sich fit gemacht für diese Tour, die ihn vom Makel des Junkies befreien soll. Er taumelt nicht mehr, sondern tigert zwischen den Verstärkern umher. Immer auf dem Sprung. Vielleicht etwas Dummes zu tun. Auf jeden Fall wird es unerwartet sein.

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