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Konzertbesuch: In Prousts Welt

Man könnte von einem Klassentreffen sprechen. Oder besser noch von einem Veteranentreffen. Das hat etwas Gespenstisches, für die Musiker wie für das Publikum: Heavy Trash im Festsaal Kreuzberg.

Es ist natürlich nicht so, dass die Band mit dem bezeichnenden Namen Heavy Trash in aller Welt bekannt wäre; dass ein Musiker wie der New Yorker Jon Spencer auch von jenen jungen Menschen geschätzt wird, die in Scharen zu Auftritten von Joanna Newsom oder CocoRosie, von Mando Diao oder The XX rennen. Es verwundert aber doch arg, dass sich beim Berliner Konzert von Heavy Trash im Festsaal Kreuzberg ausnahmslos Leute einfanden, um die 150 an der Zahl, die mehr so in der Mitte des Lebens stehen und auch schon in den neunziger Jahren bei Auftritten der Jon Spencer Blues Explosion waren.

Man könnte von einem Klassentreffen sprechen. Oder besser noch von einem Veteranentreffen. Das hat etwas Gespenstisches, für die Musiker wie für das Publikum. Denn müsste sich nicht jeder Musiker wünschen, gerade aus dem Ressort Pop, Rock oder Rock ’n’ Roll, dass er auch eine Anziehungskraft auf nachwachsende Generationen ausübt? Der Fall von Jon Spencer und seinen drei Kompagnons hat selbstredend etwas Komplexes. Die Musik von Heavy Trash ist old-fashioned, eine Mischung aus Blues, Rockabilly und Garagenrock, das Beste der fünfziger und sechziger Jahre aufbereitet für die Gegenwart. Zu Beginn der neunziger Jahre, als Jon Spencer mit der Blues Explosion begann, war diese Art von Musik das nächste neue, nicht große, aber heiße Ding: Musik zur Zeit, auch für Menschen zwischen 18 und 30. Aber jetzt? Altert mit der neuen Band von Jon Spencer das Publikum einfach mit. Wächst da noch jemand nach?

So sind sie alle wieder gekommen, die Typen, die früher coole Düster-Bars wie das „Niagara“ bevölkert oder dort bedient haben, die in illegalen Clubs wie der „Hohen Tatra“ selbst als Musiker legendäre Auftritte hatten oder die Berliner Stimmung der neunziger Jahre heute noch einmal in Läden wie dem „West-Germany“ heraufbeschwören wollen. Manche sehen aus wie immer, manche deutlich gealtert. Ein jeder aber ist der Spiegel des anderen. Cool ist hier keiner mehr. Das erinnert an den letzten Band von Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, in dem sich ein Großteil der Figuren der „Recherche“ ein letztes Mal auf einer Soiree trifft und der schon lange nicht mehr kleine Marcel das wahre Ich mancher einst angebeteten Person erkennt. Für ihn schließt sich ein Kreis, aus gutem Grund heißt dieser letzte Band „Die wiedergefundene Zeit“.

Im Festsaal Kreuzberg bleibt dieser Effekt leider aus. Hier stellt sich eher das Gefühl einer endgültig verlorenen und nie wieder auffindbaren Epoche ein. Das stimmt traurig. Mit sechzig will man bei so einem Konzert nicht auch noch herumstehen. Dann besser keine Jon-Spencer- Auftritte mehr, keine Musik von Heavy Trash. Sondern lieber früh schlafen gehen, so wie der junge Marcel.

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