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Kultur: Konzertkirche Neubrandenburg: Lob des Holzwegs

Droben im Norden gelingt es hin und wieder, die Aufmerksamkeit der Berliner Musikfreunde zu erregen. Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern wetteifern mit dem Schleswig-Holstein Musik-Festival und gastieren an mehr als zwei Dutzend Orten des Landes.

Droben im Norden gelingt es hin und wieder, die Aufmerksamkeit der Berliner Musikfreunde zu erregen. Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern wetteifern mit dem Schleswig-Holstein Musik-Festival und gastieren an mehr als zwei Dutzend Orten des Landes. Musikalische Glanzlichter sind dabei am 22. September das Jubiläumskonzert 50 Jahre Neubrandenburger Philharmonie und am 30. September das Abschlusskonzert mit dem DSO Berlin unter Kent Nagano.

Beide Ereignisse finden in der kürzlich eröffneten, laut Eigenwerbung "aufregendsten Konzerthalle Deutschlands" statt, in der Konzertkirche Neubrandenburg. Die Mecklenburgische Kreisstadt hatte in der Endphase des Zweiten Weltkriegs ein besonders tragisches Schicksal erlebt, denn die fast vollständige Zerstörung der Innenstadt geschah nicht durch alliierte Bomben, sondern durch Artilleriebeschuss am 30. April 1945, da man die Stadt in der Endphase des Bodenkampfes unsinnigerweise zur Festung erklärt hatte. 84 Prozent der Häuser innerhalb der mittelalterlichen Befestigung brannten nieder. Erhalten blieben nur der Mauerring mit einigen der auf ihr balancierenden kuriosen Wiekhäuser und wenige Häuserreihen im südlichen Viertel. Von einer schönen Altstadt kann also nicht unbedingt gesprochen werden, sieht man von den drei prächtigen Stadttoren ab und von der Hauptkirche, die, wie so oft in norddeutschen Städten, die Häuserfamilie weithin sichtbar überragt.

Der Turm der spätgotischen Marienkirche war beim Beschuss 1945 in Brand geraten, die Glocken abgestürzt, schließlich auch der Dachstuhl und das Innere ausgebrannt. Die beschädigten Gewölbe und Pfeiler wurden Opfer schwerer Stürme 1945 und 1948. Während die Reste des Rathauses bei der Enttrümmerung gleich mit abgeräumt wurden, blieb die Stadtbild und Silhouette beherrschende Ruine der Kirche als ständige Anmahnung eines Wiederaufbaus stehen.

Heute reckt sich der stolze Bau in den Himmel, als sei nichts geschehen. Kraftvoll der frühgotische Unterbau der Westfassade und die Turmfront, rot leuchtend das Langhaus, eine spätgotische Halle mit geradem Chorschluss, der Prunkgiebel nach Osten mit Maßwerk reich geschmückt, ein Hauptwerk der nordischen Backsteingotik.

Als Konzertsaal und Kunstgalerie sollte das 1975 profanierte Gotteshaus wieder in Funktion gesetzt werden. 15 Jahre später war man über einige Wiederherstellungsarbeiten nicht hinaus gekommen. Die Wende war auch hier die Wende zum Besseren. 16 Millionen Mark wurden zunächst in die Sanierung von Außenwänden, Turm und Dach investiert. 1996 konnte ein europaweiter Architektenwettbewerb ausgeschrieben werden. 31 Millionen Mark standen bereit, und kurz darauf begann der Bau des Konzertsaals mit 850 Plätzen nach den Plänen des finnischen Architekten Pekka Salminen.

Salminens Pläne hatten unter anderem deshalb überzeugt, weil er die notwendigen Nebenräume in einem Tiefgeschoss unterbringen wollte. Natürlich hätten die Pfeiler im Langhaus gestört, und so verzichtete man auf deren Wiederaufbau. Und ohne Pfeiler kein gotisches Gewölbe, also blieb es bei den Umfassungsmauern mit den Lanzettfenstern und dem ungewöhnlichen zweischaligen Wandaufbau als Raumhülle für den Saal.

Als zu laut für klassische Musik wurde der Standort zunächst empfunden. So erhielten die Fenster eine zusätzliche, innere Verglasung. Zu lang, zu schmal für einen Musiksaal, urteilten die Fachleute über den Kirchenraum. So wurde eine gläserne Wand eingezogen, die Foyer und Treppenanlage im Westteil akustisch abtrennt.

Salminen stellte einen beeindruckenden Tribünenbau mit steil ansteigenden Sitzreihen ins Kirchenschiff, mit respektvollem Abstand zu den Fenstergalerien, ein Gerüst aus Beton, dennoch leicht und konstruktiv wie das gotische Stabwerk. Die stählernen Streben zur Unterstützung des oberen Ranges erinnern deutlich an Viollet-Le-Ducs pseudogotische Stützkonstruktionen. An Piranesis Raumvisionen erinnert die Rückseite des Tribünenbaus mit ihrer offenen Treppenanlage, ein räumlich reizvolles, theatralisches Treppenhaus zum großen Auftritt des Publikums in der Konzertpause. Hinter der Orchesterbühne erhebt sich eine zweite Tribüne für Chor oder weiteres Publikum. Die Orgel an der Westwand wird vorerst durch einen Vorhang simuliert.

Salminen versteht die gotische Baukunst als technische, tektonische Bauweise und hat mit seiner kompromisslos modernen Architektur in ähnlicher Weise geantwortet. Dem einfachen Backstein setzt er schlichten, wenn auch samtweich geschalten Sichtbeton entgegen. Hinzu kommen technisch gestaltete Geländer aus Edelstahl und kühle Granitplatten.

Wie bei jedem neuen Saal wird die Akustik zunächst einmal gelobt. An Korrekturvorrichtungen wurde jedenfalls nicht gespart, und so wird es wohl noch geraume Zeit dauern, bis die optimalen Stellungen der Schallreflektoren an der Decke und an den Wänden für die verschiedenen Anwendungsfälle von Bach bis Bruckner, von Vivaldi bis Wagner ausgetüftelt sind. Aus Plexiglas auf technizistischem Gestänge springen die Reflexionstafeln an den lebhaften Backsteinwänden nicht ins Auge, während sie im Deckenbereich zum fast barock wirkenden, flirrenden Raumabschluss beitragen. Große Sorgfalt ließ der Architekt beim Entwurf und beim Bau der Tresen für Kasse, Garderobe und Büffet, der Türen und Treppenläufe, des Holzwerks der Garderoben und Trennwände walten.

Pekka Salminens unprätentiös-elegante Baukunst entspricht somit genau der Vorstellung, die man in Deutschland seit Alvar Aaltos Zeiten von finnischem Design hegt.

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