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Konzertkritik: Because the day

Patti Smith spricht, mahnt und predigt – und singt auch ein bisschen in der Spandauer Zitadelle

Irgendwie nervt er, dieser Predigerton. Wenn Patti Smith das Publikum ermahnt, bloß nicht zu dehydrieren – nachdem sie anfangs nach jedem Song das Mundspülwasser in hohem Bogen auf den Bühnenboden gejagt hat wie Fußballer ihre Spucke. Oder wenn sie rät, einfach ins Bad zu gehen, wenn mal was schlecht läuft, und sich dann dort die Zähne zu putzen, und das übrigens sowieso mindestens zweimal täglich. Oder wenn sie das wunderbar gotteslästerliche „Gloria“ mit Hallelujahs spickt: Dann tönt das gute, alte Patti-Smith-Klischee von der Godmother of Punk plötzlich verdammt kryptoklerikal. Gehörten ihre Eltern nicht den Zeugen Jehovas an? Okay, sie soll sich bereits mit zwölf von der Sekte losgerissen haben, aber macht man, wenn man erstmal 63 ist, nicht mit allerlei Widersprüchen seinen Frieden?

Andererseits kommt das Ende der Welt ja womöglich wirklich näher. Im Golf von Mexiko vergiftet das in den Meeresboden sprudelnde Öl einen ganzen Ozean, ohne dass irgendwer wüsste, wie dieser Albtagtraum zu beenden wäre – und wenn Patti Smith sagt, die Leute sollen an die verseuchten Strände gehen und den Schildkröten und Pelikanen „sanft den Dreck von den unschuldigen Körpern entfernen“, dann rührt das schon an. Oder wenn sie, mitten im finalen Rausch von „Rock’n’Roll Nigger“, in ihrem unverwechselbar peitschenden Sprechgesang das „schwarze Öl“ beim Namen nennt, das die Lebenswelt der Tiere erstickt, dann packt das die Tausenden von alten und jungen Fans, die da im Hof der Spandauer Zitadelle vor der schmucklosen Sommerbühne stehen. Sind sie vielleicht doch „die Zukunft“, als die Patti sie mit spitzem, ins Publikum gerecktem Zeigefinger ausruft? Können sie das schlimme Ruder nochmal rumreißen, schließlich singen sie gerade alle so selig „People have the Power“?

Eine sonderbar vorrevolutionäre Stimmung erfasst da die Massen für einen Moment – und wer weiß: Wenn der graulanghaarige Gitarrist Lenny Kaye zum Abschied tatsächlich seine Gitarre ins Publikum geworfen hätte, wäre es auf dem Heimweg spätestens vor Teppich Kibek womöglich zu den „Spandau Riots“ einer in späteren Geschichtsbüchern verzeichneten globalgeschichtlichen Umwälzung gekommen. Aber dann locken einen am milde werdenden Abend doch rustikale Ausflugslokalbänke sowie uriges, nahezu brandenburgisches Kopfsteinpflaster, und der Anblick der bräsigen Dorfschulzes auf den Brauereiplakaten neben der Bühne tut ein Übriges. Hatte nicht Patti Smith selber gesagt, man soll auf seinen Flüssigkeitshaushalt achten?

Ja, selbst eigens ausgeschwärmten Patti-Smith-Schwärmern fällt das Schwärmen an diesem Abend eher schwer. „Because the Night“ zum Beispiel, ihr unzerstörbarer Partyheuler von 1978, passt einfach nicht zum späten Tageslicht, zumal wenn er geradezu ohrenzerfetzend verstimmt dargeboten wird – da mag Patti Smith angesichts vorgewittrig indisponierter Gitarren noch so charmant vorausschicken, sie selbst sei immer „out of tune“. Mehrfach auch hat der verebbende Jubel nach einem der überwiegend aus „Horses“ und „Easter“ dargebotenen Titel gespenstisch lange Zeit, in erwartungsmatte Totenstille überzugehen – so lau gerät Smith und ihren alten Kämpen Lenny Kaye, Tony Shanahan und Schlagzeuger Jay Dee Daugherty die Set-Dramaturgie. „You can do better!“, tönt es da mahnend aus dem Publikum. Dass Patti Smith den Einwurf mit dem Hinweis kontert, oh, sie könne auch schlechter, ein Privileg übrigens, das „nur wenigen Erleuchteten“ vorbehalten sei, macht die Sache auch nicht besser.

An derlei dahinrumpelnden Abenden verlegt der Patti-Smith-Schwärmer sich am besten auf Augenblicke. Einmal, bevor sie in die magische Triolenwelt von „We three“ eintaucht, bindet sich die dürre, wie so oft mit schwarzem Sakko behängte Frau in aller Ruhe Zöpfe aus dem inzwischen irgendwie rotbraun schimmernden Haar – und wenn man nicht weiter auf ihre zeitgleich dargebotenen Friseurweisheitszitate achtgibt, ist das einfach schön. Und dass Daugherty mit Paukenschlägeln dem zarten „Beneath the Southern Cross“ arg zusetzt: Was macht es, wenn sich Patti Smiths Stimme für ein paar Takte in jenen betörend elegischen Ewigkeitsschmerz erhebt, der am anderen Ende ihrer ebenso unwiderstehlichen Reibeisenhaftigkeit siedelt?

Es ist dann aber das Trio von R.E.M, das diesen so erdenschweren Abend aus sich selbst erlöst. Die Musiker – sie nehmen derzeit in Berlin ihr 15. Studioalbum auf – sind zwar nichts weiter als hereinspazierende Special Guests, aber bei der zwischen „Rock’n’Roll Nigger“ und „Gloria“ oszillierenden Zugabe machen sie den Boden unter der Bühne und den Fanfüßen plötzlich heiß. Rem-Session oder Jam-Session, alles egal, Hexenkessel oder Himmelsküche, Feuerwalze oder Ascheregen, und sogar der Weltuntergang ginge jetzt voll in Ordnung: So laut und schnell und mit einer endlich entfesselten Patti mittendrin.

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