zum Hauptinhalt
Gruß an Elvis. Neil Diamond in Berlin.

© dpa

Konzertkritik: Die doppelt süße Caroline

Ein Schlagerstar von Welt: Neil Diamond begeistert in Berlin zum Auftakt seiner Deutschland-Tour

Pop-Produkte halten sich in der Regel nicht länger als ungespritztes Obst. Der Pop selbst aber garantiert vielen seiner Helden ein langes und nicht einmal ungesundes Leben. Im Winter feierte Neil Diamond 70. Geburtstag, jetzt ist er auf Deutschland-Tour, und das Konzert in der Berliner O2-Arena dauert noch keine Viertelstunde, da stehen die Fans, jubeln, singen mit: „Forever in Blue Jeans“. 7000 sind gekommen, im Schnitt etwas jünger als der schwerreiche, distinguierte Entertainer, dessen Karriere vor Menschengedenken in einer New Yorker Songschreiber-Factory begann und der Hits rausgehauen hat, wie Dirk Nowitzki Körbe wirft.

Für die Monkees schrieb er 1966 „I’m A Believer“. Das war die erste gecastete Boy Group überhaupt, lange vergessen. Der Komponist aber singt das Liedchen vom unverhofften Liebesglück noch heute mit Inbrunst – und gleich in zwei Versionen. Erst als softe Ballade, im Stil der puristischen „American Recordings“ von Johnny Cash, dessen Produzent Rick Rubin später auch mit Neil Diamond ein Album produziert hat. Und dann als saftige Rock-Nummer, mit Brass-Section und Background-Sängerinnen. Genauso macht er es mit „Red Red Wine“, einem Stück, das er mit 19 schrieb. Auf die leise Herzschmerzklage – wobei er auch bei solchen Nummern etwas zu heftig auf die Tube drückt, seine Stimme trägt immer noch enorm – folgt die Reggae-Version im Stil von UB40, die den Song erfolgreich gecovert haben.

Bei Neil Diamond ist zu erleben, wie unterschiedlich die Geschwindigkeiten im Pop verlaufen. So viele kommen und gehen, einige bleiben und fahren die Ernte ein. Und dann bringt er den Trick mit dem verdoppelten Song noch ein drittes Mal. „Sweet Caroline“, sein wohl populärstes, eingängigstes Stück, versetzt die Halle in einen Freudentaumel. Diamond badet im Applaus und geht auf die andere Seite der Bühne, um sich kokett zu entschuldigen. Da hat ja die linke Hallenhälfte gar nicht richtig mitschwofen können, sorry, also von vorn den Wurm, fürs andere Ohr: „Sweet Caroline“, dam-dam-dam ...

Er schreibt Melodien für Millionen, mit den Texten ist es nicht so weit her. Man könnte auch sagen, dass gerade darin das Geheimnis seines phänomenalen Erfolges liegt. Neil Diamond, der Junge aus Brooklyn, der mit Barbra Streisand auf die High School ging, passt sich glänzend in den Mainstream ein. Da findet sich nichts Anstößiges, keine Saufgeschichten und Zoten wie beim Rat-Pack und Frank Sinatra, dessen „Nehmt mich wie ich bin“-Pose gelegentlich bei Diamond durchschlägt. Er verzückt sein Publikum in Berlin, die Show ist hoch professionell, was sonst, er kann auch hier und da ein nettes Späßchen machen, und wie das alles sitzt! Man hat das Gefühl, in einen maßgeschneiderten Anzug aus fein gewobenem Zwirn zu schlüpfen; passt immer, vor vierzig, fünfzig Jahren wie heute.

Die Band besteht durch die Bank aus Musikern seines Alters, und die haben es halt drauf. Und da ist seine Eitelkeit, seine sichtbare Begleiterin, immer zu Stelle. Seltsam, wie nichts wirklich an ihm haften bleibt, auch nicht der tiefste Schmerz, den er aus voller Kehle intoniert. Neil Diamond besitzt ein Teflon-Kostüm, das ihn nicht unnahbar, aber irgendwie unangreifbar macht. Und was tut ihm so weh? „I Am, I Said“, einer seiner schönsten, wuchtigsten Songs, erzählt von der Einsamkeit des Stars mit Ostküsten-Genen im splendiden Los Angeles. Palmen sind schön, aber keine Heimat. Bitter. Mit welcher Emphase er „Ich“ singen kann! Ich und wieder Ich, und dann und wann ein Du. „My Way“ eben, mit Pathos und Posaunen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false